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EuGH v. 17.5.2022 - C-600/19 u.a.

Missbräuchliche Klauseln in Verbraucherverträgen

Im Hinblick auf eine Überprüfung missbräuchlicher Klauseln in Verbraucherverträgen dürfen nationale Verfahrensgrundsätze unionsrechtliche Rechte Einzelner nicht behindern. Der Effektivitätsgrundsatz verlangt eine wirksame Überprüfung der potenziellen Missbräuchlichkeit der Klauseln.

Der Sachverhalt:
Die Verfahren vor der Großen Kammer des EuGH betreffen mehrere Vorabentscheidungsersuchen spanischer, italienischer und rumänischer Gerichte, die die Auslegung der Richtlinie 91/13/EWG über missbräuchliche Klauseln in Verbraucherverträgen.

Der EuGH wurde insbesondere dazu befragt, ob nationale Verfahrensgrundsätze wie die Rechtskraft Befugnisse insbesondere der nationalen Vollstreckungsgerichte zur Prüfung der etwaigen Missbräuchlichkeit von Vertragsklauseln einschränken können. Es geht um die Frage, ob Grundsätze des innerstaatlichen Verfahrensrechts mit der Richtlinie 93/13/EWG vereinbar sind, die eine solche Prüfung, einschließlich einer Prüfung von Amts wegen durch das Vollstreckungsgericht, auf der Vollstreckungsebene in Anbetracht dessen nicht gestatten, dass bereits zuvor erlassene Entscheidungen nationaler Gerichte vorliegen.

Die Gründe:
Dem Grundsatz der Rechtskraft kommen sowohl im Unionsrecht als auch in den nationalen Rechtsordnungen eine erhebliche Bedeutung zu. Zur Gewährleistung des Rechtsfriedens und der Beständigkeit rechtlicher Beziehungen sowie einer geordneten Rechtspflege sollten die nach Ausschöpfung des Rechtswegs oder nach Ablauf der entsprechenden Rechtsmittelfristen unanfechtbar gewordenen Gerichtsentscheidungen nicht mehr in Frage gestellt werden können.

Allerdings beruht das mit der Richtlinie 93/13/EWG geschaffene Schutzsystem auf dem Gedanken, dass sich der Verbraucher gegenüber dem Gewerbetreibenden in einer schwächeren Verhandlungsposition befindet und einen geringeren Informationsstand besitzt. In Anbetracht dieser schwächeren Position sieht die Richtlinie vor, dass missbräuchliche Klauseln für den Verbraucher unverbindlich sind. Es handelt sich um eine zwingende Bestimmung, die darauf abzielt, die nach dem Vertrag bestehende formale Ausgewogenheit durch eine materielle Ausgewogenheit zu ersetzen.

Das nationale Gericht muss von Amts wegen die Missbräuchlichkeit einer Vertragsklausel, die in den Anwendungsbereich der Richtlinie 93/13/EWG fällt, prüfen. Die Mitgliedstaaten sind verpflichtet, angemessene und wirksame Mittel vorzusehen, damit der Verwendung missbräuchlicher Klauseln ein Ende gesetzt wird.

Die Verfahren zur Prüfung, ob eine Vertragsklausel missbräuchlich ist, sind im Prinzip nicht unionsrechtlich harmonisiert und damit Sache der innerstaatlichen Rechtsordnung der Mitgliedstaaten. Nationale Verfahrensbestimmungen müssen dem Effektivitätsgrundsatz genügen und mithin das Erfordernis eines effektiven gerichtlichen Rechtsschutzes erfüllen. Insoweit kann ohne eine wirksame Überprüfung der potenziellen Missbräuchlichkeit der in dem betreffenden Vertrag enthaltenen Klauseln die Einhaltung der durch die Richtlinie 93/13/EWG verliehenen Rechte nicht garantiert werden.

Hintergrund:
Auf der Grundlage dieser Erwägungen hat der EuGH die vier Urteile in den Rechtssachen C-600/19, C-725/19, C-869/19 sowie in den verbundenen Rechtssachen C-693/19 und C-831/19 erlassen. Zur Information im Einzelnen klicken Sie bitte für die ausführliche PM des EuGH hier.

Mehr zum Thema:

  • Kurzbeitrag: Neue Regeln für Verbraucherverträge (ZIP 2022, R5)
  • Aufsatz: Simon – Rückforderungsansprüche von Bankkunden bei Preisanpassungen aufgrund unwirksamer AGB-Änderungen (ZIP 2022, 13)
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Verlag Dr. Otto Schmidt vom 17.05.2022 11:56
Quelle: EuGH PM Nr. 85 vom 17.5.2022

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