Logo Verlag Dr. Otto Schmidt, Köln

Aktuell in der WM

Abfindungsklauseln im Personengesellschafts- und GmbH-Recht nach dem MoPeG (Fleischer, WM 2024, 621)

Das Gesetz zur Modernisierung des Personengesellschaftsrechts (MoPeG) markiert für Rechtspraxis und Rechtswissenschaft eine Zäsur und zugleich einen Neuanfang. Es stellt vor allem das Recht der BGB-Gesellschaft und punktuell auch das OHG- und KG-Recht auf eine veränderte Textgrundlage. Nach diesem Umbruch steht der Rechtsanwender vielerorts vor der Frage, ob und inwieweit bisherige Rechtsprechungslinien unter einer neugefassten Norm obsolet geworden sind oder weiterhin Bestand haben.

Der vorliegende Beitrag beleuchtet diese Frage für die rechtliche Beurteilung von Abfindungsklauseln in Personengesellschaftsverträgen und GmbH-Satzungen. Er bemüht sich nach Abschluss des rechtspolitischen Reformprozesses um eine erste Konsolidierung des Meinungsstands. Zu Beginn spannt er den gesetzlichen Rahmen der Gesellschafterabfindung mit § 728 BGB als neuer Basisnorm auf (II.). Sodann widmet er sich der grundsätzlichen Abdingbarkeit dieser Vorschrift und erläutert Verbreitung und Funktionen von Abfindungsklauseln (III.). Anschließend geht es um die allgemeinen Grenzen der gesellschaftsvertraglichen Gestaltungsfreiheit (IV.), bevor ausgewählte Einzelklauseln unter die Lupe genommen werden (V.). Überlegungen zu den Rechtsfolgen unwirksamer Abfindungsklauseln runden den Beitrag ab (VI.).

I.  Einführung
II.  Grundrahmen der Gesellschafterabfindung

1.  Gesetzliche Auffangregelungen
2.  Angemessene Abfindung als normative Vorgabe und Bewertungsziel
III.  Grundsätzliche Zulässigkeit von Abfindungsklauseln
1.  Abdingbarkeit des § 728 BGB
2.  Funktionen von Abfindungsklauseln
3.  Arten von Abfindungsklauseln
4.  Regelungsort von Abfindungsklauseln
IV.  Grenzen gesellschaftsvertraglicher Gestaltungsfreiheit
1.  Bisheriger Rechtsstand
a)  Inhalts- und Ausübungskontrolle
b)  Kontrollmaßstäbe
c)  Ausgenommene Fallgruppen
2.  Abfindungsklauseln in der rechtspolitischen Diskussion
3.  Beurteilung nach neuem Recht
a)  Grundsätzliche Fortführung von Wirksamkeits- und Ausübungskontrolle
b)  Liberalisierungstendenzen durch den neuen § 725 Abs. 6 BGB
c)  Sachliche Rechtfertigung einer Klauselkontrolle
d)  Dogmatische Begründungsansätze
e)  Materielle Beurteilungskriterien
f)  Richterrechtliche Quantifizierungen?
V.  Ausgewählte Abfindungsklauseln auf dem Prüfstand
1.  Abfindungsausschluss
a)  Grundsätzliche Sittenwidrigkeit
b)  Anerkannte Ausnahmen
c)  Gesellschafter minderen Rechts?
2.  Buchwertklauseln
3.  Auszahlungsvereinbarungen
4.  Abfindungsklauseln in Freiberuflersozietäten
5.  Abfindungsklauseln in Familiengesellschaften
VI.  Rechtsfolgen
1.  Anfänglich sittenwidrige Abfindungsklausel
2.  Nachträglich eintretende Unangemessenheit der Abfindungsklausel
VII.  Ergebnisse


I.  Einführung

[1] Das Gesetz zur Modernisierung des Personengesellschaftsrechts (MoPeG) markiert für Rechtspraxis und Rechtswissenschaft eine Zäsur und zugleich einen Neuanfang. Es stellt vor allem das Recht der BGB-Gesellschaft und punktuell auch das OHG- und KG-Recht auf eine veränderte Textgrundlage. Nach diesem Umbruch steht der Rechtsanwender vielerorts vor der Frage, ob und inwieweit bisherige Rechtsprechungslinien unter einer neugefassten Norm obsolet geworden sind oder weiterhin Bestand haben.

[2] Der vorliegende Beitrag beleuchtet diese Frage für die rechtliche Beurteilung von Abfindungsklauseln in Personengesellschaftsverträgen und GmbH-Satzungen. Er bemüht sich nach Abschluss des rechtspolitischen Reformprozesses um eine erste Konsolidierung des Meinungsstands. Zu Beginn spannt er den gesetzlichen Rahmen der Gesellschafterabfindung mit § 728 BGB als neuer Basisnorm auf (II.). Sodann widmet er sich der grundsätzlichen Abdingbarkeit dieser Vorschrift und erläutert Verbreitung und Funktionen von Abfindungsklauseln (III.). Anschließend geht es um die allgemeinen Grenzen der gesellschaftsvertraglichen Gestaltungsfreiheit (IV.), bevor ausgewählte Einzelklauseln unter die Lupe genommen werden (V.). Überlegungen zu den Rechtsfolgen unwirksamer Abfindungsklauseln runden den Beitrag ab (VI.).

II.  Grundrahmen der Gesellschafterabfindung

1.  Gesetzliche Auffangregelungen

[3] Gemäß § 728 Abs. 1 Satz 1 BGB ist die Gesellschaft verpflichtet, dem ausgeschiedenen Gesellschafter eine dem Wert seines Anteils angemessene Abfindung zu zahlen. Diese umformulierte bewertungsrechtliche Basisnorm ist an die Stelle des § 738 BGB a.F. getreten. Eine weitgehend deckungsgleiche Regelung für Ansprüche des ausgeschiedenen OHG-Gesellschafters enthält § 135 Abs. 1 Satz 1 HGB, der entsprechend § 161 Abs. 2 HGB auf ausgeschiedene Kommanditisten und entsprechend § 9 Abs. 1 PartGG auf ausgeschiedene Partnerschaftsgesellschafter Anwendung findet. Das GmbH-Gesetz enthält nach wie vor keine eigenständige Regelung zur Gesellschafterabfindung. Gleichwohl ist allgemein anerkannt, dass ein ausgeschiedener GmbH-Gesellschafter auch ohne besondere Abrede einen Abfindungsanspruch hat, der sich gegen die Gesellschaft richtet. Im Lichte der Neuregelung des MoPeG spricht vieles dafür, diesen Anspruch auf eine Rechts- oder Gesamtanalogie zu § 728 BGB, § 135 HGB, §§ 305, 327a AktG zu stützen, die ihrerseits Ausdruck eines rechtsformübergreifenden Grundsatzes sind. Hierfür spricht auch die überwölbende Wertung des Art. 14 GG, der nicht nur das Aktieneigentum schützt, sondern auch Personengesellschafts- und GmbH-Geschäftsanteile.

2.  Angemessene Abfindung als normative Vorgabe und Bewertungsziel
[4] Mit einer terminologischen Anleihe beim Aktienkonzernrecht gibt § 728 Abs. 1 Satz 1 BGB als Bewertungsziel eine „angemessene Abfindung“ des Gesellschaftsanteils vor. Was es mit dieser normativen Vorgabe genau auf sich hat, lässt sich aus den widersprüchlichen Gesetzesmaterialien nicht mit letzter Sicherheit ermitteln. Richtig erscheint es, auch unter Geltung der neuen Vorschrift an der langjährigen Rechtsprechung zu § 738 Abs. 1 Satz 1 BGB a.F. festzuhalten und dem Gesellschafter einen Abfindungsanspruch in Höhe des vollen wirtschaftlichen Werts (Verkehrswerts) seines Anteils zuzubilligen. Diese Lesart beginnt sich auch in der Literatur breitflächig durchzusetzen.

III.  Grundsätzliche Zulässigkeit von Abfindungsklauseln

1.  Abdingbarkeit des § 728 BGB

[5] Der Eingangsformulierung des § 728 Abs. 1 Satz 1 BGB zufolge ist die Gesellschaft dem Gesellschafter nur dann zur Zahlung einer angemessenen Abfindung verpflichtet, „sofern im Gesellschaftsvertrag nichts anderes vereinbart ist“. Die auch in der Regierungsbegründung betonte Disponibilität des Abfindungsanspruchs entsprach bereits dem bisherigen Rechtsstand und ist in der Sache wohlbegründet: Der Grundsatz der Privatautonomie und seine Wertung, dass die Parteien die besten Richter ihrer eigenen Interessen sind, legen es nahe, Abfindungsklauseln im Ausgangspunkt auch dann Geltung zu verschaffen, wenn sie den Abfindungsanspruch des ausgeschiedenen Gesellschafters beschränken. Im Einklang damit werden Abfindungsbeschränkungen in ausländischen Rechtsordnungen mit gewissen Einschränkungen ebenfalls akzeptiert.

[6] Die Rechtspraxis macht von der Möglichkeit, den gesetzlichen Abfindungsanspruch in der einen oder anderen Form abzubedingen, regen Gebrauch: In den meisten Personengesellschaftsverträgen und GmbH-Satzungen sind die Modalitäten und die Höhe der Abfindung eines ausgeschiedenen Gesellschafters geregelt. Angesichts dessen lässt sich § 728 Abs. 1 Satz 1 BGB mit dem Gedanken einer majoritarian default rule, die nachbildet, auf was sich die Vertragspartner in Verhandlungen mehrheitlich verständigt hätten, kaum mehr rechtfertigen. Eher trägt er die Züge einer penalty default rule, die bestenfalls zu einer privatautonomen Lösung anreizt.

2.  Funktionen von Abfindungsklauseln
[7] Die Zwecke von Abfindungsklauseln gehen weit auseinander. Im Vordergrund stehen folgende vier Funktionen: Erstens können solche Klauseln die Berechnung des Abfindungsanspruchs erleichtern und eine aufwendige gerichtliche Auseinandersetzung vermeiden (Rationalisierungs- und Schlichtungsfunktion). Zweitens dienen sie dazu, den Bestand des Unternehmens, insbesondere die Liquidität der Gesellschaft, durch Einschränkung des Kapitalflusses zu sichern (Perpetuierungsfunktion). Drittens sollen Anreize für den Verbleib in der Gesellschaft verstärkt und eine Möglichkeit geschaffen werden, das eigene Bindungsinteresse bereits beim Vertragsschluss glaubhaft auszudrücken (Bindungs- und Selbstbindungsfunktion). Viertens kann eine Abfindungsbeschränkung bei gesellschaftswidrigem Verhalten beabsichtigt sein (Sanktionierungsfunktion). Diese unterschiedlichen Zwecke können in den verschiedenen Klauseln einzeln oder kombiniert in Erscheinung treten.

3.  Arten von Abfindungsklauseln
[8] Der Variantenreichtum der Abfindungsklauseln ist groß. Manche betreffen nur Auszahlungsmodalitäten, z.B. einen hinausgeschobenen Fälligkeitstermin oder Ratenzahlungsvereinbarungen mit Verzinsung. Andere regeln die Art und Weise der Abfindung, etwa in Form der Realteilung von Sachwerten oder der Mitnahme von Mandanten bzw. Patienten. Wieder andere legen die anzuwendende Bewertungsmethode fest, namentlich die Maßgeblichkeit von Buchwerten oder die (vereinfachte) Ertragswertmethode, zuweilen auch eine Kombination verschiedener Bewertungsmethoden. Schließlich sind Verfahrensregeln anzutreffen, beispielsweise eine Schiedsgerichtsvereinbarung oder eine Abrede über die Maßgeblichkeit eines Schiedsgutachtens.

4.  Regelungsort von Abfindungsklauseln
[9] In aller Regel sind Abfindungsklauseln integraler Bestandteil des Personengesellschaftsvertrags oder der GmbH-Satzung. Da sie die gegenwärtigen und künftigen Gesellschafter betreffen und auch für Gesellschaftsgläubiger von Bedeutung sind, kommt ihnen in der GmbH körperschaftsrechtlicher Charakter zu. Ihre Auslegung ist daher gemäß den allgemeinen Regelungen zur Satzungsauslegung anhand objektiver Umstände vorzunehmen und unterliegt der freien Nachprüfung durch das Revisionsgericht.

[10] Alternativ können die Gesellschafter durch schuldrechtliche Nebenabrede im Interesse der Gesellschaft abweichend von Gesellschaftsvertrag oder Satzung eine geringere Abfindungshöhe für den Fall des Ausscheidens aus der Gesellschaft vereinbaren. In diesem Fall kann die Gesellschaft diese Abrede gemäß § 328 BGB einem Gesellschafter entgegenhalten, der trotz seiner schuldrechtlichen Bindung aus der von ihm getroffenen Nebenabrede auf die statutarisch festgelegte höhere Abfindung klagt.

IV.  Grenzen gesellschaftsvertraglicher Gestaltungsfreiheit
[11] Bei aller grundsätzlichen Anerkennung von Abfindungsklauseln steht andererseits ebenso außer Streit, dass die gesellschaftsvertragliche Gestaltungsfreiheit nicht grenzenlos ...
 



Verlag Dr. Otto Schmidt vom 09.04.2024 14:47
Quelle: Verlag Dr. Otto Schmidt

zurück zur vorherigen Seite