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Aufklärungspflichten beim Unternehmenskauf (Korch, ZIP 2024, 657)

Vorvertragliche Aufklärungspflichten bei Unternehmenskäufen sind praktisch sehr bedeutsam und zugleich theoretisch unterbelichtet. Ihre bisher fehlende Konturierung und die daraus folgende Unsicherheit für die Kautelarpraxis zeigt sich auch an der teils sehr kritischen Rezeption des Ihme-Urteils, in dem der BGH die Frage beantwortet hat, unter welchen Voraussetzungen der Verkäufer eines Unternehmens seine Aufklärungspflichten erfüllt, wenn er eine Due-Diligence-Prüfung durch den Käufer zulässt. Der Beitrag nimmt das Urteil zum Anlass, die Aufklärungspflichten aufzuarbeiten und dabei dem Mythos entgegenzuwirken, beim Unternehmenskauf gölten besonders strenge Maßstäbe.

I. Hochrelevant, aber ohne Konturen
II. Aufklärungspflichten beim Unternehmenskauf

1. Wesentliche Bedeutung des Umstands
a) Vorgaben der Rechtsprechung
b) Aufklärungspflicht durch Nachfragen?
c) Aufklärungspflicht trotz fehlender Nachfragen?
2. Informationsasymmetrie und Informationsbeschaffungspflichten
a) Informationsbeschaffungspflichten im Allgemeinen
b) Informationsbeschaffungspflichten beim Unternehmenskauf
c) Rechtsökonomische Kontrollüberlegung
3. Berichtigungspflichten wegen erteilter Auskünfte
III. Erfüllung durch due diligence
1. Durchführung der due diligence durch den Käufer
2. Organisation und Struktur des Datenraums
3. Zeitraum und Umfang der Prüfung
4. Bedeutung und Art der Information
IV. Täuschung durch due diligence
V. Mitverschuldenseinwand
VI. Ergebnisse


I. Hochrelevant, aber ohne Konturen

Vorvertragliche Aufklärungspflichten haben enorme praktische Bedeutung für den Unternehmenskauf. Zusammen mit § 276 Abs. 3 BGB sind sie häufig die einzige Möglichkeit des Käufers, dem eng geschnürten vertraglichen Haftungskorsett, genäht aus Haftungsausschlüssen, Haftungshöchst- und -mindestbeträgen sowie kurzen Verjährungsfristen, zu entkommen. Voraussetzung ist, dass der Verkäufer die Aufklärungspflichten vorsätzlich verletzt, wobei nach ständiger Rechtsprechung „Angaben ins Blaue hinein“ genügen.

Die Konturierung vorvertraglicher Aufklärungspflichten beim Unternehmenskauf kann mit deren praktischen Bedeutung kaum mithalten, weil höchstrichterliche Urteile dazu selten und häufig zu untypischen Fallkonstellationen ergehen. Entsprechend stark ist die Resonanz auf einschlägige Entscheidungen. So auch zum jüngsten Urteil des BGH vom 15.9.2023: In diesem hat der V. Zivilsenat zwar nicht zu Unternehmenskäufen, wohl aber zu strukturell ähnlichen Immobilientransaktionen entschieden. Geklagt hatte die Erwerberin mehrerer Gewerbeeinheiten im Ihme-Zentrum in Hannover. Die Eigentümerversammlung hatte bereits vor dem Erwerb entschieden, dass der Gebäudekomplex aufwendig saniert und revitalisiert werden sollte. Für die Erwerberin waren damit enorme Kostenrisiken verbunden. Das Protokoll der Eigentümerversammlung, aus dem diese Risiken ersichtlich waren, stellte die Verkäuferin erst am letzten Arbeitstag vor dem Notartermin in den virtuellen Datenraum ein. Das genügte dem V. Zivilsenat nicht; die Verkäuferin habe ihre Aufklärungspflichten nicht erfüllt. Für den Unternehmenskauf ist die Begründung relevant, weil der Senat „geradezu lehrbuchartig“ Grundsätze für die Erfüllung vorvertraglicher Aufklärungspflichten durch die Zulassung einer Due-Diligence-Prüfung herausarbeitet.

Mehr Rechtssicherheit, die der Praxis willkommen ist – so könnte man meinen. Tatsächlich schlägt dem Judikat eine Welle der Ablehnung entgegen. Urteil und Begründung gingen fehl, seien „lebensfremd“ und stellten eine Verschärfung der Verkäuferhaftung dar. Die schneidige Kritik verwundert zunächst, enthält das Urteil doch keinerlei Überraschungen. Es schreibt die bisherige Rechtsprechung bruchlos fort und wendet lediglich allgemeine Grundsätze auf Transaktionen mit Due-Diligence-Prüfungen an. Unbegründet ist vor allem die geäußerte Sorge, das Urteil stelle eine vollständige Abkehr vom Caveat-Emptor-Grundsatz dar, wonach es Sache des Käufers ist, sich über das Unternehmen zu informieren. Die Sorge geht zurück auf eine seit nunmehr zwei Jahrzehnten bestehende Unsicherheit hinsichtlich des Umfangs der Aufklärungspflichten bei Unternehmenskaufverträgen, die der BGH einst durch die Postulierung „gesteigerte Aufklärungspflichten“ beim Unternehmenskauf auslöste. Träfen umfassende Aufklärungspflichten auf strenge Anforderungen für ihre Erfüllung, wäre das Unbehagen der Unternehmenskaufpraxis verständlich. Es ist deshalb wichtig, das Ihme-Urteil zunächst in den größeren Kontext einzuordnen und herauszuarbeiten, dass Aufklärungspflichten auch beim Unternehmenskauf nach wie vor nur einen kleinen Ausschnitt sämtlicher relevanter Informationen über das Zielunternehmen betreffen (II.). Sodann wendet sich der Beitrag der Due-Diligence-Prüfung zu: Sie kann einerseits zur Erfüllung der Aufklärungspflichten führen und damit enthaftend wirken (III.); andererseits kann sie aber auch eine Haftung wegen Täuschung begründen, wenn der erweckte Gesamteindruck fehlerhaft ist (IV.). Der Mitverschuldenseinwand spielt demgegenüber bei Unternehmenskäufen nur eine untergeordnete Rolle (V.).

II. Aufklärungspflichten beim Unternehmenskauf
Eine Haftung aus culpa in contrahendo kommt sowohl wegen Täuschung als auch wegen unterlassener Aufklärung in Betracht. Im zweiten Fall bedarf es allerdings einer Aufklärungspflicht, die begründungsbedürftig ist, weil im Ausgangspunkt keine allgemeine Informationspflicht im vorvertraglichen Schuldverhältnis besteht. Es ist Sache der Parteien, sich ausreichend zu informieren. Sie schulden einander aber ausnahmsweise dann Aufklärung über wesentliche Umstände, „wenn der andere Teil nach Treu und Glauben unter Berücksichtigung der Verkehrsanschauung redlicherweise die Mitteilung von Tatsachen erwarten durfte, die für seine Willensbildung offensichtlich von ausschlaggebender Bedeutung sind.“ Diese Formel wiederholt der BGH im Ihme-Urteil. Erforderlich ist zudem ein Informationsgefälle zwischen den Parteien.

1. Wesentliche Bedeutung des Umstands

a) Vorgaben der Rechtsprechung

Ausschlaggebende, erhebliche oder wesentliche Bedeutung hat ein Umstand nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung, wenn sich aus ihm ergibt, dass der Vertragszweck oder die Durchführung des Vertrags gefährdet ist und der Umstand geeignet ist, dem Vertragspartner einen erheblichen wirtschaftlichen Schaden zuzufügen. Diese Vorgabe schränkt den Kreis aufklärungspflichtiger Umstände spürbar ein. Beim Unternehmenskauf sind keinesfalls sämtliche Informationen über das Unternehmen von herausgehobener Bedeutung. Vielmehr hat der BGH Aufklärungspflichten des Unternehmensverkäufers nur sehr zurückhaltend angenommen. Ungefragt zu offenbaren seien etwa solche Umstände, die eine langfristige Unrentabilität des Unternehmens nahelegen. Beunruhigt hat die Praxis allerdings eine Formulierung in einem Urteil aus dem Jahr 2001, in dem der BGH dem Unternehmensverkäufer eine „gesteigerte Aufklärungspflicht“ aufbürdete und „an die hierbei anzuwendende Sorgfalt einen strengen Maßstab“ anlegte. Begründet hat der VIII. Senat seine Entscheidung mit der erheblichen wirtschaftlichen Bedeutung des Geschäfts für den Käufer. Die Gesellschaft war innerhalb weniger Monate nach Anteilsübertragung insolvent. Der Senat spricht die „desolate wirtschaftliche Situation der Gesellschaft ‚bis hin zur Konkursreife‘“ und die nahende Zahlungsunfähigkeit in der Urteilsbegründung explizit an. Im selben Jahr griff der Senat die Formel von der „gesteigerten Aufklärungs- und Sorgfaltspflicht“ erneut auf. Auch in diesem Fall war das strukturelle Defizit der Zielgesellschaft so hoch, dass die Käuferin die Insolvenz der Gesellschaft nur durch Zahlungen vermeiden konnte, die den Kaufpreis deutlich überstiegen.

Berücksichtigt man die besonderen Sachverhaltskonstellationen der Entscheidungen, kann den Urteilen – entgegen der überwiegenden Interpretation in der Kautelarpraxis – keine Abkehr von der grundsätzlich restriktiven Haltung des BGH zu Aufklärungspflichten beim Unternehmenskauf entnommen werden. Das legt auch ein Urteil aus dem Jahr 2002 nahe, in dem der VIII. Senat...
 



Verlag Dr. Otto Schmidt vom 02.04.2024 16:15
Quelle: Verlag Dr. Otto Schmidt

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