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EU-Parlament: Entwurf eines neuen Lieferkettengesetzes

Natürlich steht nach der am 1.6.2023 getroffenen Entscheidung des europäischen Parlaments zum europäischen Lieferkettengesetz noch die Zustimmung des Rats, vor allem aber der Trilog an, bevor die Richtlinie als Unionsrecht in Geltung gesetzt wird. Sie löst dann das mit Wirkung vom 1.1.2023 in Kraft getretene deutsche Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz (LkSG) ab, welches in der Versenkung verschwindet. Um in etwa zu ermessen, was da Neues auf die deutsche Wirtschaft, aber eben auch auf Anwaltschaft und Prüfgesellschaften zukommt, erscheint ein kurzer Vergleich zwischen den wesentlichen Punkten des bislang geltenden und des künftigen Rechts von Interesse.

Gegenwärtig ist der Schwellenwert für das Eingreifen des LkSG auf 3.000 im Inland beschäftigte oder ins Ausland entsandte Arbeitnehmer begrenzt. Ab dem 1.1.2024 reduziert sich diese Zahl auf 1.000 Arbeitnehmer. Nach dem Entwurf des EU-Parlaments sinkt dieser Schwellenwert jedoch auf 250 Mitarbeiter und einen Umsatz von 40 Mio. €. Entscheidend ist vor allem: Das LkSG erfasst im Grundsatz nur den Standard einer als angemessen zu qualifizierenden Sorgfaltspflicht und sieht vor (§ 4 Abs. 1 und 2 LkSG), dass es darum geht, menschenrechtlichen und umweltbezogenen Risiken „vorzubeugen oder sie zu minimieren oder die Verletzung menschenrechtsbezogener oder umweltbezogener Pflichten zu beenden“. Im Grundsatz gelten diese – unterhalb des allgemeinen Sorgfaltsmaßstabs von § 276 Abs. 2 BGB liegenden Sorgfaltspflichten – nur gegenüber dem „unmittelbaren Zulieferer“. Doch ist dieser (bislang noch) in der Pflicht, die geschuldeten präventiven Maßnahmen im Blick auf die menschenrechtsbezogenen und umweltbezogenen „Erwartungen“ des „Unternehmens“ (§ 6 Abs. 3 LkSG) „entlang der Lieferkette angemessen zu adressieren“ (§ 6 Abs. 4 Nr. 2 LkSG).

Was das im Einzelnen heißt, ist mangels belastbarer Judikate nicht leicht zu konkretisieren. Doch sieht der Entwurf des EU-Parlaments – wohl nicht nur in Nuancen weiterreichend – vor, dass das Unternehmen künftig – menschenrechts- und umweltbezogen – verpflichtet ist, die gesamte vorgelagerte Wertschöpfungskette bis hin zu den Rohstoffen auf das Vorhandensein solcher Risiken zu überwachen. Stichworte: Erkennen, Verhindern, Verringern, und zwar betreffend Kinderarbeit, Sklaverei, Ausbeutung von Arbeitskräften, Umweltverschmutzung und Verlust der Artenvielfalt. Das dürfte auf der Ebene des Zivilrechts als Ausprägung der allgemeinen Sorgfaltspflichten des § 276 Abs. 2 i.V.m. § 280 Abs. 1 BGB im Fall der Verletzung als Sanktion des Schadensersatzes gedeutet werden („Wiedergutmachung“). Die Beweislast für solche Pflichtverletzungen liegt „noch“ bei den einzelnen Anspruchsstellern. Das letzte Wort ist hier wohl noch nicht gesprochen.

Doch hatte der Rechtsausschuss zuvor vorgeschlagen, dass eine Priorisierung der zu erfüllenden Präventionspflichten in der Richtlinie verankert werden soll, entsprechend dem Maß des jeweiligen Risikos. Ob sich daraus Erleichterungen für die vorsorgepflichtigen Unternehmen bei der Erfüllung ihrer Pflichten entlang der gesamten Lieferkette ableiten lassen, wird sich noch erweisen müssen. Denn die aktuell eingetretene Verletzung führt in der (gerichtlichen) Rückschau leicht dazu, dass die vorgenommene Priorisierung in der Risikobewertung als Vernachlässigung des Geschuldeten angesehen werden kann und die Haftungsfalle zuschnappt.

Erfasst werden also nach diesen Vorstellungen alle Lieferanten (die des Rohstoffs eingeschlossen), damit aber auch die Vertriebspartner, Transportunternehmen und Lagerhalter, einschließlich der Abfallwirtschaft. Auf der anderen Seite – und dies gilt bereits für den Entwurf der EU-Kommission (COM(2022) 71 final), aber eben auch für den des Parlaments – bezieht sich der zu beachtende Pflichtenstandard auch auf die ganze Vertriebsseite. In der Summe: Die menschenrechtlichen und auch umweltbezogenen Risiken aller an Wertschöpfung wie Vertrieb beteiligten Unternehmen – nach den Vorstellungen der EU-Kommission handelt es sich in beiden Fallkonstellationen um „etablierte Geschäftsbeziehungen“ – sind Gegenstand der Präventionspflichten des handlungspflichtigen Unternehmens.

Dann aber auch noch dies als Überraschung: Das Parlament schlägt vor, dass die Obergrenze für etwaige Sanktionen im Fall der Pflichtverletzung 5 % des weltweiten Nettoumsatzes betragen soll. Auch ist vorgesehen, dass das Kostenrisiko für ein gerichtliches Verfahren für den betroffenen Kläger erschwinglich bleibt, zumal auch Gewerkschaften und NGOs klagebefugt sein sollen. Doch das ist weithin deckungsgleich mit der gegenwärtig bereits geltenden Vorschrift der gesetzlichen Prozessstandschaft für diese Klägergruppen (§ 11 LkSG).

Es bleibt den Mitgliedstaaten vorbehalten zu entscheiden, ob die strengen Regeln des unionalen Rechtsakts auch für Finanzdienstleister gelten sollen. Das Gleiche soll – Stand heute – auch insoweit gelten, als das Parlament auf dem Standpunkt steht, dass bei mehr als 1.000 Beschäftigten gesetzlich bestimmt werden kann, dass die Boni der Unternehmensleiter gekoppelt werden sollen an die Erfüllung der Pläne zur (erfolgreichen) Bewältigung des klimabezogenen Transitionsprozesses.

Für weitere Informationen vgl. 2022/0051 (COD) – Basic Information (EURLEX).



Verlag Dr. Otto Schmidt vom 06.06.2023 12:35
Quelle: Verlag Dr. Otto Schmidt

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