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BAG: Abweichen vom Grundsatz der Gleichbehandlung von Leiharbeitnehmern „nach unten“ durch Tarifvertrag möglich

Von dem Grundsatz, dass Leiharbeitnehmer für die Dauer einer Überlassung Anspruch auf gleiches Arbeitsentgelt wie vergleichbare Stammarbeitnehmer des Entleihers haben („equal pay“), kann nach § 8 Abs. 2 AÜG ein Tarifvertrag „nach unten“ abweichen mit der Folge, dass der Verleiher dem Leiharbeitnehmer nur die niedrigere tarifliche Vergütung zahlen muss. Ein entsprechendes Tarifwerk hat der Interessenverband Deutscher Zeitarbeitsunternehmen (iGZ) mit der Gewerkschaft ver.di geschlossen. Dieses genügt den unionsrechtlichen Anforderungen des Art. 5 Abs. 3 der Leiharbeits-RL 2008/104/EG. Das hat das BAG, Urt. v. 31.5.2023 – 5 AZR 143/19, entschieden.

Das Tarifwerk von iGZ und ver.di genüge, jedenfalls im Zusammenspiel mit den gesetzlichen Schutzvorschriften für Leiharbeitnehmer, den Anforderungen des Art. 5 Abs. 3 Leiharbeits-RL. Trifft der Sachvortrag der klagenden Leiharbeitnehmerin zur Vergütung vergleichbarer Stammarbeitnehmer zu, habe die Klägerin zwar einen Nachteil erlitten, weil sie eine geringere Vergütung erhalten hat, als sie erhalten hätte, wenn sie unmittelbar für den gleichen Arbeitsplatz von dem entleihenden Unternehmen eingestellt worden wäre. Eine solche Schlechterstellung lasse Art. 5 Abs. 3 Leiharbeits-RL aber ausdrücklich zu, sofern dies unter „Achtung des Gesamtschutzes der Leiharbeitnehmer“ erfolgt. Dazu müssten nach der Vorgabe des EuGH (EuGH, Urt. v. 15.12.2022 – C-311/21 – TimePartner Personalmanagement, ZIP 2022, 2630 = EWiR 2023, 185 (Sagan), auf ein Vorabentscheidungsersuchen des BAG, Beschl. v. 16.12.2020 – 5 AZR 143/19 (A), ZIP 2021, 1620 = EWiR 2021, 502 (Thüsing)) Ausgleichsvorteile eine Neutralisierung der Ungleichbehandlung ermöglichen. Ein möglicher Ausgleichsvorteil könne nach der Rechtsprechung des EuGH sowohl bei unbefristeten als auch befristeten Leiharbeitsverhältnissen die Fortzahlung des Entgelts auch in verleihfreien Zeiten sein. Anders als in einigen anderen europäischen Ländern seien verleihfreie Zeiten nach deutschem Recht auch bei befristeten Leiharbeitsverhältnissen stets möglich, etwa wenn – wie im Streitfall – der Leiharbeitnehmer nicht ausschließlich für einen bestimmten Einsatz eingestellt wird oder der Entleiher sich vertraglich ein Mitspracherecht bei der Auswahl der Leiharbeitnehmer vorbehält. Das Tarifwerk von iGZ und ver.di gewährleiste die Fortzahlung der Vergütung in verleihfreien Zeiten. Außerdem habe der deutsche Gesetzgeber mit § 11 Abs. 4 Satz 2 AÜG für den Bereich der Leiharbeit zwingend sichergestellt, dass Verleiher das Wirtschafts- und Betriebsrisiko für verleihfreie Zeiten uneingeschränkt tragen, weil der Anspruch auf Zahlung einer Vergütung bei Annahmeverzug nach § 615 Satz 1 BGB im Leiharbeitsverhältnis nicht abbedungen werden kann. Auch habe der Gesetzgeber dafür gesorgt, dass die tarifliche Vergütung von Leiharbeitnehmern staatlich festgesetzte Lohnuntergrenzen und den gesetzlichen Mindestlohn nicht unterschreiten darf. Zudem sei seit dem 1.4.2017 die Abweichung vom Grundsatz des gleichen Arbeitsentgelts nach § 8 Abs. 4 Satz 1 AÜG zeitlich grundsätzlich auf die ersten neun Monate des Leiharbeitsverhältnisses begrenzt.



Verlag Dr. Otto Schmidt vom 06.06.2023 12:26
Quelle: Verlag Dr. Otto Schmidt

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