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OLG Nürnberg v. 18.6.2024 - 6 U 2481/22

Berufungsurteil im „Fensterstreit“: Eigentümer kann keine verschlossenen und blickdichten Nachbarfenster verlangen

Das OLG Nürnberg hat die Klage eines Nachbarn auf Durchsetzung des „Fensterrechts“ in der Berufungsinstanz abgewiesen. In erster Instanz hatte das LG den vom Kläger gegen die Grundstücksnachbarn geltend gemachten Anspruch, die auf der Grundstücksgrenze befindlichen Fenster großflächig blickdicht zu gestalten und geschlossen zu halten, zuerkannt. Das OLG hat nun die Entscheidung abgeändert.

Der Sachverhalt:
Der Kläger verlangte unter Berufung auf die bayerischen Nachbarrechtsvorschriften von den beklagten Nachbarn die zu seinem Grundstück zugewandten Wohnraumfenster so umzubauen, dass ein Öffnen und ein Durchblicken bis zur Höhe von 1,80 m über dem Boden nicht möglich sind. Er ist Eigentümer eines im Jahr 2017 errichteten Einfamilienhauses, die Beklagten wohnen seit 2019 auf dem Nachbargrundstück. Beide Grundstücke waren zunächst Teil eines größeren Grundstücks. Infolge der Grundstücksteilung im Jahr 2000 wurde das Wohnhaus, in dem die Beklagten wohnen, zu einem Grenzbau. Die Wohnung der Beklagten hat mehrere Fenster sowie eine Balkonfenstertür, deren Abstand zur Grundstücksgrenze des Klägers weniger als 60 Zentimeter beträgt. 

Das LG erkannte den vom Kläger gegen die Grundstücksnachbarn geltend gemachten Anspruch, die auf der Grundstücksgrenze befindlichen Fenster großflächig blickdicht zu gestalten und geschlossen zu halten, zu. Das OLG hat nun die Entscheidung abgeändert. Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig. Das OLG Nürnberg hat die Revision zum Bayerischen Obersten Landesgericht zugelassen.

Die Gründe:
Die auf das „Fensterrecht“ gestützten Anspruchsvoraussetzungen sind zwar grundsätzlich gegeben, die Durchsetzung des Anspruchs im konkreten Einzelfall stellt in der Gesamtwürdigung aber als unbillige Härte dar. Der Senat hatte sich in einem Ortstermin ein eigenes Bild von den konkreten Wohnverhältnissen gemacht und die streitgegenständlichen Fenster, insbesondere die etwaig zu verschattenden Fensterflächen, die Lichtverhältnisse in sämtlichen betroffenen Räumen und die Fluchtwege der Wohnung in Augenschein genommen. Unter Berücksichtigung der baulichen Gegebenheiten der Wohnung und in Abwägung der jeweiligen Interessen beider Seiten steht im Ergebnis, dass dem Kläger ein Berufen auf das nachbarrechtliche „Fensterrecht“ im konkreten Einzelfall verwehrt ist.

Maßgeblich ist zum einen, dass bis zu 80 % der Fensterflächen von der blickdichten Gestaltung betroffen wären und eine ausreichende Licht- und Luftzufuhr der Wohnung bei Durchsetzung des Anspruchs nicht mehr gewährleistet wäre. Zum anderen war berücksichtigen, dass bei einem dauerhaften Verschließen der Balkontür auch der notwendige zweite Fluchtweg nicht mehr gegeben wäre. In Gesamtbetrachtung der konkreten Umstände ist die Ausübung des Fensterrechts hier daher unzulässig.

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Die maßgebliche Vorschrift im landesgesetzlichen Nachbarrecht (Bayern) lautet:
AGBGB  (BGB-Ausführungsgesetz)
Art. 43 Fensterrecht
(1) Sind Fenster weniger als 0,60 m von der Grenze eines Nachbargrundstücks entfernt, auf dem Gebäude errichtet sind oder das als Hofraum oder Hausgarten dient, so müssen sie auf Verlangen des Eigentümers dieses Grundstücks so eingerichtet werden, daß bis zur Höhe von 1,80 m über dem hinter ihnen befindlichen Boden weder das Öffnen noch das Durchblicken möglich ist. Die Entfernung wird von dem Fuß der Wand, in der sich das Fenster befindet, unterhalb der zunächst an der Grenze befindlichen Außenkante der Fensteröffnung ab gemessen.
(2) Den Fenstern stehen Lichtöffnungen jeder Art gleich.

 



Verlag Dr. Otto Schmidt vom 15.07.2024 15:46
Quelle: OLG Nürnberg PM Nr. 21vom 24.6.2024

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