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ESG und Post-M&A-Streitigkeiten - (Wie) passt das zusammen? (Wagner/Mumme/Schuler, ZIP 2024, 1363)

Nachhaltige Unternehmensführung – Environmental Social Governance (ESG) – gewinnt branchen- und rechtsgebietsübergreifend an Bedeutung. Auch im Rahmen von M&A-Transaktionen ergeben sich zunehmend Besonderheiten durch ESG-Themen, insbesondere bei der Vertragsgestaltung und in der Due Diligence. Verwirklicht sich ein ESG-bezogenes Risiko nach einer Transaktion, können ESG-Themen zudem Gegenstand von Post-M&A-Streitigkeiten werden. Die sich in diesem Zusammenhang ergebenden Fragen wurden bisher noch nicht näher untersucht. Der folgende Beitrag gibt einen Überblick über die sich aus der Berücksichtigung von ESG-Themen ergebenden Besonderheiten in M&A-Transaktionen, stellt die Streitpotentiale zwischen den Parteien eines Unternehmenskaufs über ESG-Themen im Rahmen von Post-M&A-Streitigkeiten dar und veranschaulicht, inwiefern sich in diesem Zusammenhang ergebende Ansprüche (gerichtlich) durchgesetzt werden können.

I. Einleitung
II. Relevante „ESG-Quellen“
III. Berücksichtigung von ESG-Themen bei Unternehmenstransaktionen

1. ESG in der Due Diligence
2. ESG in der Vertragsgestaltung
2.1 Earn-Out-Klauseln
2.2 Garantieklauseln
2.3 Freistellungsklauseln
2.4 Behandlung von ESG-Faktoren zwischen Vertragsunterzeichnung und Vollzug
IV. Post-M&A-Streitigkeiten über ESG-Themen
1. Mögliche Auswirkungen von ESG auf Post-M&A-Streitigkeiten
2. Mögliche Streitfälle
2.1 Aus Verkäufersicht
2.2 Aus Käufersicht
2.2.1 In der Due Diligence erkannte ESG-Themen
2.2.2 Haftung für während der Due Diligence nicht entdeckte ESG-Themen
3. Gerichtliche Durchsetzung
3.1 Wo?
3.2 Wann?
3.3 Wie?
V. Fazit


I. Einleitung

Aspekte zur nachhaltigen Unternehmensführung haben vielfach Einzug in die positive Gesetzgebung gefunden: Angefangen beim deutschen Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz (LkSG) bis hin zu den Bestrebungen auf europäischer Ebene im Zusammenhang mit dem sog. Green Deal, insbesondere der Richtlinie über die Nachhaltigkeitsberichterstattung von Unternehmen (CSRD) sowie der Richtlinie über die Sorgfaltspflichten von Unternehmen im Hinblick auf Nachhaltigkeit (CS3D). Es ist daher wenig überraschend, dass die Klärung ESG-bezogener Fragestellungen auch in M&A-Transaktionen eine immer größere Bedeutung erlangt. Diese können dabei alle Phasen einer Unternehmenstransaktion beeinflussen. Um erkannten oder befürchteten ESG-bezogenen Risiken angemessen zu begegnen, werden ESG-nahe gesetzliche Vorgaben und Rahmenbedingungen in der Due Diligence zunehmend untersucht. Zudem werden etwa Vertragsklauseln, die bereits aus der allgemeinen M&A-Praxis bekannt sind, um ESG-bezogene Inhalte erweitert. Grundsätzlich können relevante ESG-Aspekte bereits vor dem Signing und dem Vollzug einer M&A-Transaktion adressiert werden. Insbesondere Fälle der (fehlenden Offenlegung der) Verwirklichung bußgeldrelevanter ESG-Verstöße bei dem transaktionsgegenständlichen Unternehmen sowie Kaufpreisbestandteile, die von ESG-Kennwerten abhängen sollen, können Gegenstand von Post-M&A-Streitigkeiten sein.

II. Relevante „ESG-Quellen“
Die potentiellen ESG-Themen in einer Unternehmenstransaktion sind vielschichtig. Relevante Aspekte können sich aus sog. Soft Law sowie zunehmend auch aus geschriebenem Recht (Hard Law) ergeben. Dies insbesondere aus den folgenden Regelungswerken, die häufig empfindliche umsatzbezogene Sanktionen für Verstöße vorsehen.

  • Das LkSG normiert menschenrechtliche und umweltbezogene Sorgfaltspflichten für deutsche Unternehmen mit mehr als 1.000 Arbeitnehmern. Die Sorgfaltspflichten müssen betroffene Unternehmen in ihrem eigenen Geschäftsbereich sowie in ihren Lieferketten erfüllen. Verletzungen der Sorgfaltspflichten können durch öffentlich-rechtliche Sanktionen in Form des Ausschlusses von Vergabeverfahren für einen Zeitraum von bis zu drei Jahren (§ 22 LkSG) und Bußgeldern von bis zu 2 % des jährlichen Nettoumsatzes (§ 24 LkSG) geahndet werden.
  • Die CSRD verpflichtet Unternehmen zur Nachhaltigkeitsberichterstattung. Betroffene müssen hiernach über ihre Maßnahmen zur Erfüllung von umwelt- und sozialbezogenen Sorgfaltspflichten im Rahmen der Wertschöpfungskette berichten. Verletzungen dieser Pflicht haben in der Regel wohl Bußgelder zur Folge (vgl. bisher § 334 Abs. 1 Nr. 3 und 4 HGB) und können zudem strafrechtlich verfolgt werden (vgl. § 331 Abs. 1 Nr. 2 HGB).
  • Die sich aktuell noch im (Abschluss des) Gesetzgebungsverfahrens befindliche CS3D soll großen Unternehmen menschenrechtliche und umweltbezogene Sorgfaltspflichten sowie eine klimaschutzbezogene Pflicht auferlegen. Es ist geplant, dass die Mitgliedstaaten der EU Vorschriften über Sanktionen für Verstöße gegen nationale Vorschriften zur Umsetzung der CS3D festlegen müssen (Art. 20 Abs. 1 CS3D). Es müssen auf nationaler Ebene jedenfalls Geldbußen i.H.v. mindestens 5 % des jährlichen weltweiten Gesamtumsatzes des Unternehmens sowie ein naming&shaming-Mechanismus vorgesehen werden. Ein Ausschluss von Vergabeverfahren muss zwar nicht zwingend vorgesehen werden, die Compliance mit den Sorgfaltspflichten soll aber bei der Vergabe öffentlicher Aufträge berücksichtigt werden.
  • Die EU-Entwaldungsverordnung (EUDR) tritt weitestgehend zum 30.12.2024 in Kraft. Unternehmen mit Sitz in der EU müssen dann sicherstellen, dass auf dem Unionsmarkt bestimmte Rohstoffe und Erzeugnisse nur in Verkehr gebracht, bereitgestellt oder aus der EU ausgeführt werden, wenn diese als „entwaldungsfrei“ im Sinne der EUDR gelten. Die einzelnen Mitgliedstaaten müssen Vorschriften über Sanktionen für Verstöße gegen die EUDR festlegen (Art. 25 Abs. 1 EUDR). Gemäß Art. 25 Abs. 2 EUDR sollen diese Vorschriften folgende Sanktionen erfassen: Geldbußen i.H.v. mindestens 4 % des jährlichen unionsweiten Gesamtumsatzes des betroffenen Unternehmens; die Einziehung der betreffenden Erzeugnisse; die Einziehung von Einnahmen; den Ausschluss von Vergabeverfahren und dem Zugang zu öffentlicher Finanzierung, Finanzhilfen und Konzessionen für einen Zeitraum von bis zu einem Jahr; vorübergehendes Verbot der betreffenden Wirtschaftstätigkeit; Verbot der Anwendung von reduzierten Sorgfaltspflichtenmaßstäben.
  • Nach der geplanten Verordnung über das Verbot von in Zwangsarbeit hergestellten Produkten soll es allen Wirtschaftsakteuren unabhängig von der Unternehmensgröße verboten sein, Produkte, die in Zwangsarbeit hergestellt wurden, in die EU einzuführen, auf dem Unionsmarkt bereitzustellen oder aus der EU auszuführen. Die einzelnen Mitgliedstaaten der EU sollen Vorschriften über Sanktionen für Verstöße gegen die Verordnung festlegen (Art. 37 Abs. 1 VO-E). Die Sanktionen sollen wirksam, angemessen und abschreckend sein (Art. 37 Abs. 2 VO-E). Regelwerke mit ähnlicher Stoßrichtung, z.B. in den USA, haben bereits zu erheblichen wirtschaftlichen Konsequenzen für Unternehmen geführt, insbesondere durch Importverzögerungen.
  • Durch die geplante Green Claims-Richtlinie soll sichergestellt werden, dass umweltbezogene Aussagen von Unternehmen umfassend substantiiert und verifiziert sind. Hierdurch soll dem Risiko von Greenwashing begegnet werden. Verstöße gegen nationale Umsetzungsvorschriften der Richtlinie sollen durch wirksame, angemessene und abschreckende Sanktionen geahndet werden (Art. 17 Abs. 1 RL-E). Hierbei sollen die Mitgliedstaaten jedenfalls die folgenden Sanktionen vorsehen (Art. 17 Abs. 3 RL-E): Geldbußen i.H.v. mindestens 4 % des jährlichen Gesamtumsatzes des betroffenen Unternehmens in dem jeweiligen Mitgliedstaat; die Einziehung von Einnahmen; den Ausschluss von Vergabeverfahren und dem Zugang zu öffentlicher Finanzierung, einschließlich Ausschreibungen, Zuschüssen und Konzessionen für einen Zeitraum von bis zu einem Jahr. Zu beachten ist außerdem, dass einschlägiges Greenwashing (Haftungs-)Risiken aus ganz unterschiedlichen Rechtsgebieten mit sich bringen kann. Diese Sanktions- und Haftungsrisiken müssen insbesondere im Zusammenhang mit unternehmensbezogenen ESG-Aussagen des transaktionsgegenständlichen Unternehmens berücksichtigt werden.

Daneben stehen (nur schwer quantifizierbare) potentielle Reputationsschäden sowie zivilrechtliche Haftungs- und Prozessrisiken. Dabei ist es gerade die Vielzahl an geschriebenen und ungeschriebenen Gesetzen sowie die Geschwindigkeit, mit der neue Regelwerke hinzukommen oder bestehende verändert werden, die besondere Herausforderungen in sich bergen.

III. Berücksichtigung von ESG-Themen bei Unternehmenstransaktionen
Die oben genannten ESG-Themen haben daher das Potential, alle Verfahrensschritte einer Unternehmenstransaktion sowie wesentliche Bestandteile der rechtlichen Dokumentation einer Unternehmenstransaktion zu beeinflussen. Dies beginnt bereits im Rahmen der Anbahnung eines Kauf- oder Verkaufsprozesses: Sowohl Verkäufer auf der Suche nach einem geeigneten Käufer als auch Investoren auf der Suche nach einem passenden Zielunternehmen lassen zunehmend ESG-Kriterien bei ihrer Auswahl einfließen. Im Fokus der rechtlichen Literatur sowie der Praxis stehen vor allem die Berücksichtigung von ESG-Themen in der (Legal) ESG-Due Diligence und zunehmend die Berücksichtigung von ESG-Chancen und Risiken im Unternehmenskaufvertrag.

1. ESG in der Due Diligence
Die Due Diligence umfasst im Allgemeinen alle Maßnahmen zur Untersuchung des Transaktionsobjekts und stellt die zentrale Informationsquelle bei einem Unternehmenskauf dar. Neben der klassischerweise durchgeführten Legal, Tax und Financial Due Diligence werden regelmäßig basierend auf dem Risikoprofil des Zielunternehmens auch Untersuchungen etwa im Bereich Commercial, Environmental, IT und Cyber Security, HR und Insurance durchgeführt. Ziel einer jeden Due Diligence ist es, ...


Selbststudium nach § 15 FAO mit der ZIP: Zu diesem Beitrag finden Sie die Lernerfolgskontrolle online bis zum 31.12.2024 unter https://www.otto-schmidt.de/15fao.
 



Verlag Dr. Otto Schmidt vom 18.06.2024 18:21
Quelle: Verlag Dr. Otto Schmidt

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