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Aktuell in der ZIP

Interne Beitreibungskosten als Schadensersatz - Zugleich zur Zulässigkeit von pauschalierten Ersatzansprüchen für Mahnschreiben in AGB (Roer/Gilberg, ZIP 2023, 614)

Online-Zahlungsdienstleister werben gerne mit dem Versprechen einer schönen, neuen, einfachen und für Alle fairen Bezahlwelt. Ein genauerer Blick offenbart jedoch, dass ihr Geschäftsmodell diesem Bild insbesondere bei der Erhebung von Mahngebühren nicht immer gerecht wird. Die dahinterliegende Frage, ob und wie (pauschalierte) Beitreibungskosten überhaupt ersetzt werden können, stellt die Frage nach der Sinnhaftigkeit der derzeitigen BGH-Linie im Schadensrecht.

I. Problembeschreibung
II. Eigenbemühungen sind kein tauglicher Schadensersatzposten

1. Forderungsmanagement und Verantwortlichkeit
a) Privatmenschen können keinen Ersatz für eigene Arbeit verlangen
b) Forderungsmanagement gehört zum Verantwortungsbereich des Unternehmers
aa) Ausnahme, wenn die Kosten der Eigenmühewaltung das Übliche überschreiten
bb) Ausnahme für den Anwalt, der sich selbst vertritt
2. Keine Kausalität der Eigenbemühungskosten
III. Kritik an der ganz herrschenden Meinung
1. Zuordnung des Forderungsmanagements als ambivalentes Wertungsargument
2. Ökonomische Fehlanreize
3. Argumente gegen das Kausalitätsargument
a) Mitarbeiter können andere Arbeit nicht oder erst später erledigen
b) Automatisiertes Forderungsmanagement
4. Ersatz der Eigenbemühungskosten aufgrund europarechtskonformer Auslegung?
a) Europarechtliche Pflicht, Eigenbemühungskosten als Schaden zu behandeln
b) Pflicht, überschießend umgesetztes Recht europarechtlich auszulegen
IV. AGB-rechtliche Konsequenz für Klauseln, die Eigenbemühungskosten erheben
1. Verstoß gegen § 307 Abs. 2 Nr. 1 BGB
2. Möglichkeiten, weiterhin zulässig zu pauschalieren
a) Interne Beitreibung durch Versenden physischer Mahnbriefe
b) Externe Beitreibung
aa) Rechtsanwalt
bb) Inkassobüro
cc) Konzerninkasso
V. Ergebnis und Ausblick
VI. Thesen


I. Problembeschreibung

Wer Social-Media-affin ist, kann seit einigen Monaten beobachten, wie unter dem Hashtag #Klarnaschulden vornehmlich Jugendliche ihre teils vierstelligen durch Online-Shopping entstandenen Verbindlichkeiten in vermeintlich lustigen Video-Clips präsentieren. Der Hashtag rührt vom Namen des schwedischen Unternehmens „Klarna“, das der derzeit wohl bekannteste Vertreter im Bereich der wachsenden Fintech-Zahlungsabwickler-Szene ist. Ihrer Eigendarstellung zufolge dienen diese Zahlungsabwickler dazu, die Geschäftsbeziehung zwischen Online-Händlern und Kunden dadurch zu erleichtern, dass sie die Forderung des Unternehmens gegen den Kunden direkt bei Vertragsabschluss aufkaufen. Der Vorteil für den Online-Händler liegt darin, dass er bei säumigen Schuldnern keine Rechtsverfolgungskosten hat und zudem das Ausfallrisiko auf null reduziert wird, da mit Klarna immer ein zahlungsbereiter Schuldner zur Verfügung steht. Denn Klarna bietet sog. echtes Factoring an. Angenehm für den Kunden ist wiederum, dass Klarna die Option anbietet, erst nach 30 Tagen den Rechnungsbetrag zahlen zu müssen. Macht der Kunde – wie im Online-Shopping nicht unüblich – nach der Bestellung und dem Erhalt der Ware von seinem Widerrufsrecht Gebrauch, muss er regelmäßig überhaupt nicht leisten. Verbraucherschützer mahnen jedoch an, dass gerade junge Menschen bei derart verzögerten Zahlungen schnell den Überblick verlieren und in die Schuldenfalle tappen.

Neben diesem Vorwurf kann Klarna und seinen Konkurrenten jedoch noch ein anderer, konkreterer Vorwurf gemacht werden: das unzulässige Erheben von nicht ersatzfähigen Kosten im Falle des Zahlungsverzugs. Denn Klarna regelt in seinen AGB, die in das Verhältnis zwischen Händler und Kunde einbezogen werden, dass der Kunde im Falle seines Zahlungsverzugs einen pauschalen Schadensersatz zu leisten hat. Die aktuelle Klausel lautet wie folgt:

Pro Einkauf wird von uns eine Rechnungsgebühr von Euro 0 erhoben. Befinden Sie sich in Zahlungsverzug kann Klarna für jede Mahnung Ersatz für den dadurch entstandenen Schaden i.H.v. pauschal 1,85 € verlangen. Ihnen steht jeweils der Nachweis frei, dass Klarna kein oder nur ein geringerer Schaden entstanden ist.

Im Falle des Zahlungsverzugs erhält der Verbraucher automatisiert eine E‑Mail mit dem Hinweis auf die Mahngebühren i.H.v. 1,85 €.

Klarna will auf diesem Wege die Kosten ersetzt bekommen, die ihr durch den Zahlungsverzug des Schuldners entstehen. Verzugsschadensersatz nach § 280 Abs. 1, 2, § 286 BGB setzt jedoch auch einen ersatzfähigen Schaden i.S.d. §§ 249 ff. BGB voraus. Dieser kann im Fall von Klarna nur aus sog. Eigenbemühungskosten bestehen; dies sind Kosten, die durch den Einsatz eigener Mitarbeiter und automatisierter Mahnsysteme entstehen. Dieser Beitrag nimmt die Klausel von Klarna zum Anlass, die Zulässigkeit solcher Schadensersatzposten zu untersuchen.

Zunächst wird gezeigt, dass die ganz herrschende Meinung diese Eigenbemühungskosten nicht als ersatzfähigen Schaden anerkennt (II). Trotz zutreffender Kritik an dieser Ansicht (III), sind für die Praxis die AGB-rechtlichen Konsequenzen der herrschenden Meinung zu beachten (IV). Der Beitrag schließt mit einem Ausblick (V) und einer Zusammenfassung der Ergebnisse in Thesen (VI).

II. Eigenbemühungen sind kein tauglicher Schadensersatzposten
Eigenbemühungskosten sind nach herrschender Meinung nicht im Rahmen eines Verzugsschadensersatzanspruchs ersatzfähig.

Rechtsprechung und Literatur argumentieren, dass Eigenbemühungskosten aus zwei Gründen nicht ersatzfähig seien. Zum einen falle Forderungsmanagement in die Sphäre des Gläubigers (1). Dies träfe selbst dann zu, wenn die Kosten in Bezug auf einen bestimmten Einzelfall entstanden sind. Die Arbeitskraft als solche sei kein vermögenswertes Gut, daher liege ein immaterieller Schaden vor, der über das Schadensrecht (§ 253 Abs. 1 BGB) nicht ersatzfähig ist. Zum anderen seien die Kosten der Mahnung nicht kausal für die vom Unternehmer getätigten Aufwendungen (2).

1. Forderungsmanagement und Verantwortlichkeit
Nach der Rechtsprechung des BGH trägt der Geschädigte den Aufwand für die Schadensermittlung und die außergerichtliche Abwicklung seines Schadensersatzanspruchs für anfallenden Arbeits- und Zeitaufwand bei einer am Schutzzweck der Haftungsnorm sowie an Verantwortungsbereichen und Praktikabilität orientierten Wertung selbst.

a) Privatmenschen können keinen Ersatz für eigene Arbeit verlangen
Ausgangspunkt ist, dass der Privatmensch oder der Einzelunternehmer ohne Angestellte keinen Ersatz für übliche eigene Arbeit verlangen kann. Mittlerweile hat der BGH zwar entschieden, dass...
 



Verlag Dr. Otto Schmidt vom 29.03.2023 10:26
Quelle: Verlag Dr. Otto Schmidt

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