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Aktuell in der ZIP

Privilegierung der bösgläubigen Aktionäre bei der Anfechtung von Dividendenzahlungen nach § 134 InsO? - Erwiderung auf Habersack, ZIP 2022, 1621 mit Kritik an der BGH-Rechtsprechung zur Anfechtung rechtsgrundloser Leistungen (Bitter, ZIP 2023, 169)

Habersack hat in ZIP 2022, 1621 in Übereinstimmung mit dem OLG Frankfurt (OLG Frankfurt v. 25.5.2022 - 4 U 310/19, ZIP 2022, 1556) die These vertreten, bei unzulässigen Dividendenzahlungen könne nur der gutgläubige Aktionär, der gem. § 62 Abs. 1 Satz 2 AktG gesellschaftsrechtlich nicht auf Rückgewähr haftet, der Anfechtung nach § 134 InsO unterliegen, während der bösgläubige und deshalb nach § 62 Abs. 1 Satz 1 AktG zur Rückgewähr verpflichtete Aktionär die Unentgeltlichkeitsanfechtung nicht fürchten müsse. Dieses groteske Ergebnis beruht auf der fehlerhaften, im Urteil BGHZ 214, 350 begründeten Rechtsprechung des BGH zur Anfechtung rechtsgrundloser Leistungen nach § 134 InsO, die ihrerseits deutliche Wertungswidersprüche produziert und deshalb dringend der Korrektur bedarf.

I. Einführung
II. Die BGH-Rechtsprechung zur Anfechtung rechtsgrundloser Leistungen nach § 134 InsO
III. Übertragung der Rechtsprechung ins Gesellschaftsrecht
IV. Wertungswidersprüche bei inverser Anwendung von § 812 BGB und § 134 InsO

1. Zivilrechtliche Privilegierungen des Leistungsempfängers als insolvenzanfechtungsrechtlicher Bumerang
2. Frühere Vermeidung der Wertungswidersprüche in BGHZ 113, 98 und BGHZ 179, 137
3. Wertungswidersprüche seit BGHZ 214, 231
V. Inkonsistenz in Bezug auf unwirksame Schenkungen
VI. Fehlende Verknüpfung zwischen Leistung und Rückgewähranspruch
VII. Zweifelhafte Konsequenzen beim qualifizierten Rangrücktritt
VIII. Fazit



I. Einführung
Unter dem Titel „Wie gewonnen, so zerronnen“ hat sich Habersack jüngst in dieser Zeitschrift mit der „Anfechtbarkeit von Dividendenzahlungen an gutgläubige Aktionäre gem. § 134 InsO“ beschäftigt. Schon die mit jener Überschrift erfolgende Beschränkung der Untersuchung auf die Unentgeltlichkeitsanfechtung gegenüber gutgläubigen Aktionären lässt aufhorchen. Soll damit gesagt werden, dass sich die Anfechtung unzulässiger Dividendenzahlungen nach § 134 InsO allein gegen gutgläubige Aktionäre richtet, während die bösgläubigen Aktionäre privilegiert sind, sie also im Rahmen der Unentgeltlichkeitsanfechtung ungeschoren davonkommen?

In der Tat ist dies die bemerkenswerte These von Habersack, welche er bereits im Teaser zu seinem Aufsatz andeutet. Darin heißt es: „Tatsächlich muss § 134 Abs. 1 InsO auch und gerade in den Fällen des § 62 Abs. 1 Satz 2 AktG zur Anwendung gelangen.“ – also speziell gegenüber den gutgläubigen Aktionären.

In Anwendung der jüngeren BGH-Rechtsprechung zur Unentgeltlichkeitsanfechtung rechtsgrundloser Leistungen wird sodann entfaltet, dass die bösgläubigen Aktionäre einem gesellschaftsrechtlichen Rückgewähranspruch nach § 62 Abs. 1 Satz 1 AktG ausgesetzt sind und dieser Anspruch die mit der unerlaubten Dividendenzahlung verbundene Vermögenseinbuße kompensiere; deshalb hätten jene bösgläubigen Aktionäre keine Anfechtung wegen „Unentgeltlichkeit“ nach § 134 InsO zu befürchten. Umgekehrt seien die gutgläubigen Aktionäre im Hinblick auf das Privileg des § 62 Abs. 1 Satz 2 AktG gesellschaftsrechtlich nicht zur Rückgewähr nach § 62 Abs. 1 Satz 1 AktG verpflichtet; allenfalls jene gutgläubigen Aktionäre sähen sich in der Folge der Anfechtung des § 134 InsO ausgesetzt.

Klar und deutlich formuliert Habersack insoweit, dass „der gutgläubige Aktionär insolvenzrechtlich betrachtet schlechter behandelt wird als der bösgläubige Aktionär.“ Darin sieht Habersack aber nur eine Konsequenz der mit dem Urteil BGHZ 214, 350 begonnenen Rechtsprechung zu rechtsgrundlosen Leistungen, die eine Unentgeltlichkeitsanfechtung ausschließt, falls der Empfänger einem Bereicherungsanspruch aus § 812 Abs. 1 Satz 1 BGB ausgesetzt ist. Richtig sei zwar – so Habersack wörtlich –, dass sich nach jenem Konzept „allein der gutgläubige Dividendenempfänger der Anfechtung nach § 134 Abs. 1 InsO ausgesetzt sieht.“ Zurückzuführen sei dies jedoch auf den „Umstand, dass es an einer unentgeltlichen Zuwendung fehlt, wenn der Empfänger die Leistung des Schuldners bereits anderweitig auszugleichen hat und die Leistung somit nicht kompensationslos erfolgt“.

Das von Habersack erzielte Ergebnis einer insolvenzrechtlichen Privilegierung des bösgläubigen Aktionärs stellt sich – wie nachfolgend dargelegt werden soll – in der Tat als Konsequenz der jüngeren BGH-Rechtsprechung zur Unentgeltlichkeitsanfechtung rechtsgrundloser Leistungen ein. Wer diese Konsequenz jedoch so deutlich ausbuchstabiert wie Habersack, dem hätte auffallen können, dass die zur Basis genommene BGH-Rechtsprechung zu § 134 InsO nicht überzeugen kann. Sie produziert nämlich nicht nur bei den unzulässigen Dividendenzahlungen systemwidrige Ergebnisse, sondern weit darüber hinaus. Da sich der Verfasser hierzu bereits an anderer Stelle ausführlich geäußert hat, kann an dieser Stelle eine Zusammenfassung jener Gedanken genügen:

II. Die BGH-Rechtsprechung zur Anfechtung rechtsgrundloser Leistungen nach § 134 InsO
Die Rechtsprechung des BGH zur Anfechtung rechtsgrundloser Leistungen nach § 134 InsO hat mit dem Urteil BGHZ 214, 350 zur Rückforderung (angeblich) unzulässig erhobener Darlehensabschlussentgelte einen Bruch erhalten. Während der BGH zuvor in seiner Rechtsprechung bis zum Fall Phoenix Kapitaldienst sowie auch im Urteil BGHZ 204, 231 zum sog. qualifizierten Rangrücktritt jede rechtsgrundlose Zahlung als unentgeltlich angesehen und somit § 134 InsO angewendet hatte, will der IX. Zivilsenat seit dem Urteil BGHZ 214, 350 differenzieren:

Die Anfechtung wegen unentgeltlicher Leistungen gem. § 134 InsO soll nicht (mehr) möglich sein, wenn aufgrund einer rechtsgrundlosen Leistung zugunsten des Leistenden ein Bereicherungsanspruch aus § 812 Abs. 1 Satz 1 BGB entsteht, weil dieser Anspruch einen „endgültigen, vom Empfänger nicht auszugleichenden, freigiebigen Vermögensverlust des Schuldners“ verhindern und folglich...
 



Verlag Dr. Otto Schmidt vom 31.01.2023 17:10
Quelle: Verlag Dr. Otto Schmidt

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