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EuGH: Zeithonorar für Anwälte und Transparenzgebot

In einer für die anwaltliche Rechtsberatung gegenüber Verbrauchern
wegweisenden Urteil hat sich der EuGH, Urt. v. 12.1.2023 – C-395/21 –
D.V. (Honoraires d’avocat – Principe du tarif horaire), mit der Frage
befasst, ob denn die Abrechnung der Dienstleistungen eines Anwalts
nach einem vereinbarten Stundensatz – es ging um mehrere nach
litauischem Recht abzuwickelnde Verfahren – den Anforderungen
des Transparenzgebots der Klausel-RL 93/13/EWG (Art. 4 Abs. 2, 5) genügt.
In den einzelnen Verträgen war ein Stundensatz von 100 € vereinbart.
Der Mandant leistete eine Anzahlung i.H.v. 5.600 €. Im Ergebnis
errechnete sich schließlich ein Gesamtbetrag von 12.900 €. Dem
vorlegenden Gericht geht es im Wesentlichen um zwei Fragen: Zum
einen um die Erfordernisse der Transparenz im Zusammenhang mit
der als Hauptleistung einzuordnenden Entgeltpflicht des Mandanten
(Art. 4 Abs. 2 der Klausel-RL). Zum anderen spielt (erneut) die Frage
eine Rolle, welche Folgen es hat, wenn die Missbräuchlichkeit der
Klausel gerichtlich festgestellt wird (Art. 6 und 7 der Klausel-RL).

Die Leitsätze des Gerichtshofs lassen folgendes Bild erkennen:
„1. Art. 4 Abs. 2 der RL 93/13/EWG ist wie folgt auszulegen:
Eine Klausel eines zwischen einem Rechtsanwalt und einem Verbraucher
geschlossenen Vertrags über die Erbringung von Rechtsdienstleistungen,
nach der sich die Vergütung Letzterer nach dem
Zeitaufwand richtet, fällt unter diese Bestimmung.
2. Art. 4 Abs. 2 der RL 93/13 ist wie folgt auszulegen:
Eine Klausel eines zwischen einem Rechtsanwalt und einem Verbraucher
geschlossenen Vertrags über die Erbringung von Rechtsdienstleistungen,
nach der sich die Vergütung Letzterer nach dem
Zeitaufwand richtet, genügt nicht dem Erfordernis gemäß dieser Bestimmung,
dass die Klausel klar und verständlich abgefasst sein
muss, wenn dem Verbraucher vor Vertragsabschluss nicht die Informationen
erteilt worden sind, die ihn in die Lage versetzt hätten, seine
Entscheidung mit Bedacht und in voller Kenntnis der wirtschaftlichen
Folgen des Vertragsabschlusses zu treffen.
3. Art. 3 Abs. 1 der RL 93/13 ist wie folgt auszulegen:
Eine Klausel eines zwischen einem Rechtsanwalt und einem Verbraucher
geschlossenen Vertrags über die Erbringung von Rechtsdienstleistungen,
nach der sich die Vergütung Letzterer nach dem
Zeitaufwand richtet und die daher den Hauptgegenstand des Vertrags
betrifft, ist nicht bereits deshalb, weil sie dem Transparenzerfordernis
gem. Art. 4 Abs. 2 der Richtlinie in der geänderten Fassung nicht entspricht,
als missbräuchlich anzusehen, es sei denn, der Mitgliedstaat,
dessen innerstaatliches Recht auf den betreffenden Vertrag anwendbar
ist, hat dies gem. Art. 8 der Richtlinie in der geänderten Fassung
ausdrücklich vorgesehen.
4. Art. 6 Abs. 1 und Art. 7 Abs. 1 der RL 93/13 sind wie folgt auszulegen:
In Fällen, in denen ein zwischen einem Rechtsanwalt und einem Verbraucher
geschlossener Vertrag über die Erbringung von Rechtsdienstleistungen
nach der Aufhebung einer für missbräuchlich erklärten
Klausel, nach der sich die Vergütung für die betreffenden
Dienstleistungen nach dem Zeitaufwand richtet, nicht fortbestehen
kann und in denen die Dienstleistungen bereits erbracht sind, stehen
nicht dem entgegen, dass das nationale Gericht, auch dann, wenn
dies dazu führt, dass der Gewerbetreibende für seine Dienstleistungen
überhaupt keine Vergütung erhält, die Lage wiederherstellt, in
der sich der Verbraucher ohne die Klausel befunden hätte. Hätte die
Nichtigerklärung des Vertrags insgesamt für den Verbraucher besonders
nachteilige Folgen – was das vorlegende Gericht zu prüfen haben
wird –, stehen die genannten Vorschriften nicht dem entgegen,
dass das nationale Gericht der Nichtigkeit der Klausel abhilft, indem
es sie durch eine dispositive oder im Fall einer entsprechenden Vereinbarung
der Vertragsparteien anwendbare Vorschrift des innerstaatlichen
Rechts ersetzt. Hingegen stehen die genannten Vorschriften
dem entgegen, dass das nationale Gericht die für nichtig erklärte
missbräuchliche Klausel ersetzt, indem es selbst bestimmt, welche
Vergütung für die betreffenden Dienstleistungen angemessen ist.“
Aus dem Leitsatz Nr. 2 dürfte folgen, dass es erforderlich ist, bei der
anwaltlichen Honorarvereinbarung eine geschätzte Obergrenze für
das gesamte Leistungspaket festzulegen. Das dürfte im Zweifel dem
Transparenzgebot von § 307 Abs. 3 Satz 2 BGB genügen. Doch der
Verstoß gegen das Transparenzgebot löst nach den Vorgaben von
§ 307 Abs. 1 Satz 2 BGB – und damit auch von § 307 Abs. 3 Satz 2
BGB – den Tatbestand der unangemessenen Benachteiligung (Missbräuchlichkeit)
aus. Welche Folgen sich dann im Rahmen von § 306
Abs. 2 BGB ergeben, ist im Rahmen des deutschen Rechts noch nicht
abschließend geklärt. Denn der danach naheliegende Rückgriff auf
die gesetzlichen Gebühren des RVG ist im Vergleich zu einer Honorarvereinbarung/
Stundensatz – abhängig vom Streitwert – entweder
dem Anwalt günstig (hoher Streitwert) oder dem Verbraucher (niedriger
Streitwert). Die generell-abstrakte Bewertung könnte hier zudem
an dem Erfordernis scheitern, dass nach § 310 Abs. 3 Nr. 3 BGB auch
die Umstände des Einzelfalls der richterlichen Kontrolle zugrunde zu
legen sind.



Verlag Dr. Otto Schmidt vom 18.01.2023 11:47
Quelle: Verlag Dr. Otto Schmidt

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