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BGH: Fristenkontrollpflicht des Rechtsanwalts

Der BGH, Urt. v. 22.11.2022 – VIII ZB 2/22, hatte erneut Gelegenheit (vgl. BGH, Urt. v. 11.5.2021 – VIII ZB 9/21, NJW 2021, 2201) zu den Fragen Stellung zu nehmen, welche Pflichten ein Rechtsanwalt im Blick auf die Kontrolle der Berufungsbegründungsfrist bei Ablauf der für diese notierten Vorfrist zu erfüllen hat, um – Stichwort: Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand – vom Vorwurf des Verschuldens befreit zu sein.

Der Sachverhalt ist schnell geschildert: Am Tag des Ablaufs der von seiner Mitarbeiterin notierten Vorfrist für die Einlegung einer Berufung war der Anwalt ortsabwesend (11.11.2021), erkundigte sich aber bei seiner Mitarbeiterin nach dem Stand der Vorfrist und deren Eintrag im Fristenbuch. Diese hatte jedoch den 18.11.2021 als maßgebenden Tag des Ablaufs der Berufungsfrist notiert, weil am Sitz der Kanzlei – anders als am Sitz des Berufungsgerichts – am 17.11.2021 ein gesetzlicher Feiertag war. Daher wurde dem Anwalt erst am 18.11.2021 die Akte zur Bearbeitung vorgelegt – die Frist war indessen verstrichen.

Folglich wurden sowohl Berufung als auch der Antrag auf Wiedereinsetzung zurückgewiesen. Zwar räumte der BGH ein, dass der Anwalt berechtigt gewesen sei, die Notierung von Fristen einer gut ausgebildeten, zuverlässigen, erprobten und sorgfältig handelnden Mitarbeiterin an die Hand zu geben. Doch dann bemängelt der BGH das Handeln des Anwalts: Die Vorfrist und auch die Rechtsmittelbegründungsfrist muss der Anwalt immer eigenverantwortlich prüfen, wenn ihm die Akten zur Bearbeitung vorgelegt werden. Diese Prüfung muss er rechtzeitig vornehmen, und zwar immer dann, wenn ihm die Akten vorgelegt werden. Die Vorfrist, so der BGH, hat ja den Zweck, „dem Rechtsanwalt einen gewissen zeitlichen Spielraum zur Bearbeitung bis zum endgültigen Ablauf der Begründungsfrist zu verschaffen“ (Rz. 18). Um ihren Zweck zu erfüllen, „darf die Prüfung jedoch – anders als die Rechtsbeschwerde meint – nicht zurückgestellt werden, bis der Rechtsanwalt – ggf. erst am letzten Tag der Begründungsfrist – die eigentliche Bearbeitung der Sache vornimmt. Vielmehr entsteht die Prüfungspflicht mit der Vorlage der Akten unabhängig davon, ob sich der Rechtsanwalt zur sofortigen Bearbeitung der Sache entschließt“ (Rz. 18). „Dementsprechend muss sich der Rechtsanwalt, der die eigentliche Sachbearbeitung zurückstellen will, bei Vorlage auf Vorfrist auch davon überzeugen, ob ihm am Tag des Fristablaufs noch Zeit für die Anfertigung der Rechtsmittelbegründung oder für einen Antrag auf Verlängerung der Begründungsfrist verbleibt“ (Rz. 18).

Fazit: Es gereichte dem Anwalt zum Verschulden, dass er sich nicht am Tag nach seiner Rückkehr selbst danach erkundigt hat, ob die Vorfrist von seiner Mitarbeiterin zutreffend eingetragen worden war. Hätte er das getan, dann hätte er noch alle Trümpfe in der Hand gehabt: Fertigung und Einlegung der Berufungsbegründung, Fristverlängerungsantrag eingeschlossen.



Verlag Dr. Otto Schmidt vom 12.01.2023 10:03
Quelle: Verlag Dr. Otto Schmidt

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