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BGH v. 30.8.2022 - VIII ZB 87/20

Kosten für Unterbevollmächtigten bei Hinzuziehung eines weder am Gerichtsort noch am Sitz der Partei ansässigen Hauptbevollmächtigten

Der BGH hat sich vorliegend mit der Erstattungsfähigkeit der für die Beauftragung eines Unterbevollmächtigten anfallenden Kosten bei Hinzuziehung eines weder am Gerichtsort noch am Sitz der Partei ansässigen Hauptbevollmächtigten befasst.

Der Sachverhalt:
Die klagende Leasing-Gesellschaft mit Sitz in München machte gegenüber der Beklagten Ansprüche aus einem beendeten Leasingvertrag vor dem LG München I geltend. Mit ihrer Vertretung in diesem Verfahren beauftragte sie eine in Köln ansässige Rechtsanwaltskanzlei. In dem Verhandlungstermin vom 5.11.2019, zu dem für die Beklagte niemand erschien, wurde die Klägerin durch einen Unterbevollmächtigten aus Fürstenfeldbruck vertreten. Das LG gab der Klage im Wege des Versäumnisurteils statt und legte der Beklagten die Kosten des Verfahrens auf. Den hiergegen eingelegten Einspruch der Beklagten verwarf das LG als unzulässig und verurteilte sie, auch die weiteren Kosten des Rechtsstreits zu tragen.

Im Kostenfestsetzungsverfahren begehrte die zum Vorsteuerabzug berechtigte Klägerin u.a. die Festsetzung der Kosten für die Terminsvertretung durch den Unterbevollmächtigten i.H.v. rd. 380 €. Das LG erkannte mit Kostenfestsetzungsbeschluss vom 16.6.2020 der Klägerin statt der Kosten für den Unterbevollmächtigten lediglich fiktive Reisekosten ihrer Hauptbevollmächtigten (Fahrtkosten i.H.v. 19,80 € und eine Abwesenheitspauschale i.H.v. 25 €) zu. Die hiergegen gerichtete sofortige Beschwerde der Klägerin mit dem Ziel der antragsgemäßen Festsetzung der Kosten für die Beauftragung eines Unterbevollmächtigten wies das OLG mit Beschluss vom 11.11.2020 zurück.

Auf die Rechtsbeschwerde der Klägerin hob der BGH den Beschluss des OLG auf und verwies die Sache zur erneuten Entscheidung dorthin zurück.

Die Gründe:
Entgegen der Ansicht des OLG können, wenn die Hinzuziehung eines weder am Gerichtsort noch am Sitz der Partei ansässigen Rechtsanwalts ("Rechtsanwalt am dritten Ort") notwendig i.S.v. § 91 Abs. 2 Satz 1 Halbs. 2 ZPO war, die erstattungsfähigen Reisekosten des Prozessbevollmächtigten und damit auch die Kosten für die Beauftragung eines Unterbevollmächtigten nicht auf die Kosten beschränkt werden, die einem in dem vom Gericht am weitest entfernten Ort im Gerichtsbezirk ansässigen Rechtsanwalt entstanden wären. Eine solche Begrenzung der für den auswärtigen Rechtsanwalt zu erstattenden Reisekosten über die sich aus § 91 Abs. 2 Satz 1 Halbs. 2 ZPO ergebenden Einschränkungen hinaus sieht die ZPO nicht vor.

Nach ständiger BGH-Rechtsprechung stellen die Kosten eines Unterbevollmächtigten dann notwendige Kosten der Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung i.S.v. § 91 Abs. 1 Satz 1 ZPO dar, wenn durch die Tätigkeit des Unterbevollmächtigten erstattungsfähige Reisekosten des Hauptbevollmächtigten in vergleichbarer Höhe erspart werden, die ansonsten bei der Wahrnehmung des Termins durch den Hauptbevollmächtigten entstanden wären. Gem. § 91 Abs. 2 Satz 1 ZPO sind Reisekosten eines Rechtsanwalts der obsiegenden Partei, der wie im vorliegenden Fall nicht in dem Bezirk des Prozessgerichts niedergelassen ist und am Ort des Prozessgerichts auch nicht wohnt, jedoch nur insoweit zu erstatten, als dessen Zuziehung zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder -verteidigung notwendig war. Diese Voraussetzungen liegen vor.

War die Hinzuziehung der Hauptbevollmächtigten der Klägerin somit i.S.v. § 91 Abs. 2 Satz 1 Halbs. 2 ZPO notwendig, können entgegen der Ansicht des Beschwerdegerichts die zu erstattenden Kosten bei der Vertretung der Klägerin vor dem Gericht an ihrem Gesellschaftssitz nicht auf die fiktiven Kosten eines Anwalts begrenzt werden, dessen Kanzleisitz sich an dem von dem Gericht am weitesten entfernten Ort innerhalb des Gerichtsbezirks befindet. Die Vorschrift des § 91 Abs. 2 Satz 1 Halbs. 2 ZPO verlangt im Fall der notwendigen Einschaltung eines auswärtigen Anwalts regelmäßig keine zusätzliche Prüfung, ob im konkreten Einzelfall auch die Wahrnehmung des Verhandlungstermins gerade durch diesen Rechtsanwalt unbedingt erforderlich war oder auch durch einen im Gerichtsbezirk ansässigen Anwalt hätte erfolgen können.

Denn bei der Prüfung der Notwendigkeit einer bestimmten Rechtsverfolgungs- oder Rechtsverteidigungsmaßnahme ist eine typisierende Betrachtungsweise geboten. Der Gerechtigkeitsgewinn, der bei einer übermäßig differenzierenden Beurteilung im Einzelfall zu erzielen ist, steht in keinem Verhältnis zu den sich ergebenden Nachteilen, wenn in nahezu jedem Einzelfall darum gestritten werden kann, ob die Kosten zu erstatten sind oder nicht. Vor diesem Hintergrund bedarf es zur Beurteilung der Erstattungsfähigkeit von Reisekosten grundsätzlich nicht zusätzlich der gesonderten Feststellung, ob die mit der Beauftragung eines Rechtsanwalts am dritten Ort verbundenen Mehrkosten in voller Höhe erstattungsfähig sind, wenn das Beschwerdegericht die Notwendigkeit der Zuziehung zur zweckentsprechenden Rechtsverteidigung - wie hier - rechtsfehlerfrei bejaht hat.

Mehr zum Thema:

Kommentierung | ZPO
§ 91 Grundsatz und Umfang der Kostenpflicht
Herget in Zöller, Zivilprozessordnung, 34. Aufl. 2022

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Verlag Dr. Otto Schmidt vom 22.11.2022 09:24
Quelle: BGH online

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