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LG Bielefeld v. 8.6.2022 - 16 O 54/21

Mundspülung darf nicht mit Bezug auf Corona beworben werden

Es ist unschädlich, dass die Aussage „Reduziert die Virenlast der Mundhöhle und des Rachenraums“ nicht explizit auf Coronaviren abstellt. Denn nach der Gesamtschau der Werbeaussagen, die in allen anderen Punkten ausdrücklich Coronaviren nennen, können die angesprochenen Verkehrskreise nur den Schluss ziehen, dass sich auch diese Aussage auf Coronaviren beziehen soll.

Der Sachverhalt:
Der Kläger ist als qualifizierte Einrichtung i.S.d. § 4 UKlaG eingetragen und kümmert sich um die Belange von Verbrauchern. Die Beklagte produziert und vertreibt vor allem dermatologische und gynäkologische Arzneimittel und Medizin-sowie Kosmetikprodukte. Unter der Marke „N.“ bietet die Beklagte ein Hand-Desinfektionsgel mit 70 % Ethanol an. Dieses Produkt wird über die von der Beklagten betriebenen Internetseite gegenüber Verbrauchern beworben, wobei über einen Shop-Locator Apotheken in der Nähe des Verbrauchers angezeigt werden können und auch Online-Bestellmöglichkeiten bei Versandapotheken aufgeführt werden.

Am 26.4.2021 wurde das Produkt „N.“ auf der Internetseite auch gegenüber Verbrauchern präsentiert. Unter „Beschreibung“ fanden sich folgende Aussagen über das Produkt „N.“:
 

  • „Mundspülung ergänzend zu bestehenden Corona-Maßnahmen
  • Corona-Prophylaxe durch physikalische Reduzierung der Virenlast im Mund- und Rachenraum
  • Reduziert die Virenlast der Mundhöhle und des Rachenraums
  • Das Risiko einer Tröpfchenübertragung der Coronaviren wird verringert
  • Oberflächenaktive Substanzen vermindern die Bindung zwischen Viren und menschlichen Zellen
  • Schnelle Reinigung innerhalb von einer Minute
  • Klinisch getestet - an COVID-19-Patienten getestete Rachen- und Mundspülung - signifikante Abnahme der Virenlast um bis zu 90%
  • Medizinprodukt".


Die N. bietet keinen alleinigen Schutz vor einer Infektion mit Coronaviren. Wir empfehlen die Anwendung zur Unterstützung der Corona-Prophylaxe ergänzend zu den bekannten Maßnahmen (AHA+L).“ Jedoch profitieren nicht-geimpfte Menschen ebenso von der N. wie bereits geimpfte Personen, da aktuell noch nicht sicher ist, ob eine Impfung gleichzeitig auch das Risiko einer weiteren Verbreitung der Viren minimiert.“

Der Kläger war der Ansicht, ihm stehe gegen die Beklagte ein Anspruch auf Unterlassung der streitgegenständlichen Werbeaussagen über das Medizinprodukt „N.“ einerseits gem. §§ 8 Abs. 1, 3a UWG i. V. m. § 12 Abs. 1 Nr 2 HWG und andererseits gem. § 2 Abs. 1, 2 Nr. 5 UKlaG i. V. m. § 12 Abs. 1 Nr. 2 HWG zu. Das LG hat der Unterlassungsklage stattgegeben. Allerdings ist das Urteil nicht rechtskräftig. Die Berufung ist beim OLG Hamm unter dem Az. 4 U 144/22 anhängig.

Die Gründe:
Dem Kläger steht gegen die Beklagte ein Anspruch auf Unterlassung der streitgegenständlichen Werbeaussagen über das Medizinprodukt „N.“ einerseits gem. §§ 8 Abs. 1, 3a UWG i. V. m. § 12 Abs. 1 Nr. 2 HWG und andererseits gem. § 2 Abs. 1, 2 Nr. 5 UKlaG i.V.m. § 12 Abs. 1 Nr. 2 HWG zu.

Es konnte im Ergebnis dahinstehen, ob es sich um eine statische oder dynamische Verweisung handelt. Denn auch bei einer – durch eine statische Verweisung – abschließende Aufzählung der meldepflichtigen Krankheiten im IfSG in der Fassung vom 20.7.2000 wäre nach § 6 Abs. 1 Nr. 5 IfSG in der Fassung vom 20.7.2000 die Coronavirus-Krankheit-2019 (COVID-19) eine meldepflichtige Erkrankung i.S.d. § 6 IfSG in der Fassung vom 20.7.2000. Nach § 6 Abs. 1 Nr. 5 IfSG in der Fassung vom 20.7.2000 ist von der Meldepflicht erfasst, „soweit nicht nach den Nummern 1 bis 4 meldepflichtig, das Auftreten einer bedrohlichen Krankheit oder von zwei oder mehr gleichartigen Erkrankungen, bei denen ein epidemischer Zusammenhang wahrscheinlich ist oder vermutet wird, wenn dies auf eine schwerwiegende Gefahr für die Allgemeinheit hinweist und Krankheitserreger als Ursache in Betracht kommen, die nicht in § 7 genannt sind.“

Die Coronavirus-Krankheit-2019 (COVID-19) ist unter „bedrohliche Krankheit“ als auch als Erkrankung mit epidemischem Zusammenhang zu subsumieren. Sämtliche von der Klägerin beanstandeten Werbeaussagen beziehen sich auch auf die Coronavirus-Krankheit-2019 (COVID-19). Dabei ist unschädlich, dass die Aussage „Reduziert die Virenlast der Mundhöhle und des Rachenraums“ nicht explizit auf Coronaviren abstellt. Denn nach der Gesamtschau der Werbeaussagen, die in allen anderen Punkten ausdrücklich Coronaviren nennen, können die angesprochenen Verkehrskreise nur den Schluss ziehen, dass sich auch diese Aussage auf Coronaviren beziehen soll.

Diese Frage vermag die mit Handelsrichtern besetzte Kammer aufgrund eigener Sachkunde zu beurteilen. Die Ermittlung des Verkehrsverständnisses ist keine Tatsachenfeststellung, sondern Anwendung eines speziellen Erfahrungswissens. Im Allgemeinen bedarf es keines durch eine Meinungsumfrage untermauerten Sachverständigengutachtens zur Ermittlung des Verkehrsverständnisses, wenn die entscheidenden Richter selbst zu den angesprochenen Verkehrskreisen gehören. Die Regelung des § 12 HWG ist vorliegend auch nicht einschränkend auszulegen.

Auch eine einfache Präventionsmaßnahme, wie hier das Gurgeln mit der N. -Spülung, das gerade keine therapeutische bzw. „heilende" Maßnahme darstellt, wäre vom Werbeverbot erfasst. Denn es besteht die Gefahr, dass Anwender – trotz des Hinweises, dass die Anwendung keinen alleinige Schutz vor einer Infektion bietet und die Anwendung als Ergänzung der allgemeinen Maßnahmen empfohlen wird – auf die Einhaltung weiterer Schutzmaßnahmen verzichten und damit Schäden durch unsachgemäße Selbstbehandlung entstehen.

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Verlag Dr. Otto Schmidt vom 17.10.2022 16:26
Quelle: Justiz NRW

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