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Die zeitlichen Grenzen der Zinsnachforderung bei unwirksamen Zinsanpassungsklauseln in Prämiensparverträgen – Rechtsprechung gegen das Gesetz (Herresthal, ZIP 2022, 921)

Prämiensparverträge sind weiterhin Gegenstand einer Vielzahl gerichtlicher Verfahren. In seiner Grundsatzentscheidung vom 6.10.2021 hat der BGH eine zeitliche Begrenzung der Nachforderung weiterer Zinsen durch den Kunden weitgehend ausgeschlossen. Der nachfolgende Beitrag zeigt, dass diese Entscheidung nicht nur gegen zwingendes Verjährungsrecht, sondern auch gegen dessen tragende Wertungen verstößt. In Gesamtanalogie zu Normen einer zeitlichen Begrenzung der Rechtsdurchsetzung ist eine 10jährige Frist sachgerecht. Zudem sind regelmäßig die Grundsätze der Verwirkung einschlägig.


I. Einleitung
II. Die Vorzugswürdigkeit der Verjährung nach allgemeinen Regeln
III. Die Defizite der BGH-Entscheidung vom 6.10.2021

1. Die Überschreitung der Grenzen der Klauselauslegung schon in der Grundkonstellation
2. Die einseitige Belastung der Bank bei einer nachträglich unwirksamen Zinsanpassungsklausel
3. Die Überschreitung der Grenzen der ergänzenden Vertragsauslegung
IV. Die gesetzlichen Grenzen der Nachforderung weiterer Zinsen
1. Die Missachtung des vorrangigen Geltungsanspruchs des dispositiven Verjährungsrechts
2. Der Verstoß gegen die absolute Grenze der Verjährung in § 202 Abs. 2 BGB
3. Der Verstoß gegen das gesetzliche Leitbild der Verjährungsregeln
V. Die Zehnjahresfrist als Höchstfrist der Zinsnachforderung in Gesamtanalogie zu den Normen des BGB
1. Der berechtigte Kern der „Dreijahreslösung“ der Rechtsprechung zu Energielieferungsverträgen
2. Die Gesamtanalogie zu den Normen des BGB
a) Die 10-Jahres-Frist des § 199 Abs. 4 BGB als Basisnorm des Verjährungsrechts
b) Der tragende Grundsatz der Höchstfrist von zehn Jahren zur Rechtsdurchsetzung im BGB
c) Die gemeinsame ratio legis der Durchsetzungsbegrenzung im BGB
3. Die Übereinstimmung mit den allgemeinen Grundsätzen der zeitlichen Beschränkung von Rechten
4. Die angemessene vertragliche Regelung als Frage für das Instanzgericht
5. Die interessengerechte zeitliche Begrenzung der Nachforderung
VI. Die unzutreffende Ausblendung der Grundrechtsbindung durch den BGH
VII. Die zu berücksichtigenden aufsichtsrechtlichen Vorgaben
VIII. Die Verwirkung des Anspruchs auf Zinsgutschrift

1. Die Erfüllung des Zeitmoments
2. Das Umstandsmoment bei der Schließung einer nachträglichen Vertragslücke
IX. Zusammenfassung


I. Einleitung
In seiner Entscheidung zu Prämiensparverträgen vom 6.10.2021 hat der BGH auch zu den zeitlichen Grenzen etwaiger Zinsnachforderungsansprüche des Kunden bei unwirksamen Zinsanpassungsklauseln in Prämiensparverträgen Stellung genommen. Diese Zinsansprüche resultieren nach dem BGH aus einer judikativen rückwirkenden Schließung jener Regelungslücke in diesen Sparverträgen, die durch die Änderung der Rechtsprechung zu Zinsanpassungsklauseln viele Jahre nach Vertragsschluss entstanden ist. Dabei hat der BGH zu einer Konstruktion Zuflucht genommen, mit der – anerkennt man sie – die Judikative stets das vom Gesetzgeber ausdifferenzierte System der Verjährungsregeln weitreichend aushebeln könnte. Zudem reißt die Entscheidung eine Vielzahl bislang anerkannter dogmatischer Leitplanken ein und gerät – um im Bild zu bleiben – in der Folge aus der Spur der Gesetzesbindung.

II. Die Vorzugswürdigkeit der Verjährung nach allgemeinen Regeln
Nach der weiterhin vorzugswürdigen Lösung 2 sind Zinsänderungsklauseln in langfristigen Sparverträgen sog. Zinsautomatikklauseln. Bei diesen fehlt dem Kreditinstitut jeder Gestaltungsspielraum in Bezug auf die Anpassung des Vertragszinssatzes. In der Folge ist nur zwischen dem Anspruch des Sparers auf Zinsgutschrift (Entrichtung des Zinses) und einem Anspruch aus Gutschrift zu unterscheiden. Ein (vorgeschalteter) Anspruch des Sparers gegen das Kreditinstitut auf Anpassung des vertraglichen Zinssatzes besteht nicht. Der Anspruch auf Zinsgutschrift ist mit dem Schluss des Geschäftsjahres fällig. Der Anspruch verjährt bei einer Zinsänderungsklausel, die den Vorgaben des BGH entspricht, gem. §§ 195, 199 Abs. 1, 4 BGB. Die Verjährungsfrist beginnt mit dem Schluss des Kalenderjahres, das auf jenes folgt, für das die Zinsgutschrift begehrt wird, und läuft i.d.R. nach drei Jahren ab. Entsprechendes wird i.d.R. für einen Anspruch auf Ersatz des Verzugsschadens bzw. einen Anspruch auf Schadensersatz statt der Leistung gelten. Die Fiktion einer Umwandlung des bloßen Anspruchs auf Zinsgutschrift in einen Teil der Kapitalrückforderung ist abzulehnen. Sofern eine den nach Vertragsschluss geänderten Vorgaben der Rechtsprechung entsprechende Zinsänderungsklausel im Sparvertrag fehlt, wird der Vertrag, auf den Vertragsschluss rückbezogen, um eine Zinsänderungsklausel judikativ ergänzt (§ 157 BGB), die diesen Anforderungen entspricht. Auch in diesem Fall sind die Voraussetzungen der Verjährung des Anspruchs auf Zinsgutschrift spätestens mit Ablauf des ersten Kalenderhalbjahres nach dem Fälligkeitszeitpunkt gegeben, denn die judikative Vertragsergänzung hat nur rechtserkennende, nicht rechtsgestaltende Wirkung. Die Tatbestandsvoraussetzungen etwaiger Schadensersatzansprüche werden im Regelfall nicht erfüllt sein. Die Hemmung der Verjährung aufgrund einer unsicheren und zweifelhaften Rechtslage ist abzulehnen.

III. Die Defizite der BGH-Entscheidung vom 6.10.2021

1. Die Überschreitung der Grenzen der Klauselauslegung schon in der Grundkonstellation

Der BGH folgt bei der Auslegung der vertraglichen Abrede einem dreiaktigen Schema, das nicht zum Guten aufgelöst wird. Zunächst breitet er in einem ersten Akt die vertragliche Regelung des Anspruchs auf Zinsgutschrift aus, nach der die Zinsen und die Prämie dem Sparkonto am Schluss eines jeden Geschäftsjahres gutgeschrieben, dem Kapital hinzugerechnet und sodann ab dem neuen Geschäftsjahr verzinst werden (Zinseszinseffekt). Rechtsgeschäftlich ist die Verfügung des Sparers über die gutgeschriebenen Zinsen nach Ablauf zweier Monate nach Gutschrift ausgeschlossen. Der Anspruch aus dieser (tatsächlich erfolgten) Zinsgutschrift auf Entrichtung des gutgeschriebenen Zinses wird erst mit Beendigung des Sparvertrags zusammen mit dem Anspruch auf Auszahlung des Sparguthabens fällig. Die (tatsächlich) kapitalisierten Zinsen unterliegen damit derselben Verjährung wie der Anspruch auf Rückzahlung der Valuta; dies entspricht dem Wortlaut der AGB-Klauseln und ist langjährige Rechtsprechung.

In einem zweiten Akt (erster Höhepunkt) hat der BGH erstmalig und ohne Auseinandersetzung mit der Kritik im Schrifttum jene Fiktion einzelner Berufungsgerichte gebilligt, mit der diese bei einer unterbliebenen fristgerechten Gutschrift der vertraglich gesch
uldeten (!) Zinsen sowie bei einer zu geringen Zinsgutschrift (Falschberechnung von Zinsen) die Verjährung des dann eigentlich (teilweise) fortbestehenden Erfüllungsanspruchs (Anspruch auf Zinsgutschrift) und etwaiger Schadensersatzansprüche aushebeln. So hat das OLG Köln in diesen Konstellationen die vertraglich geschuldeten Zinsen gleichwohl als in die Kapitalforderung umgewandelt qualifiziert. Die Zinsen sollen „vereinbarungsgemäß als in einen Teil der Hauptforderung umgewandelt anzusehen“ sein. Die dem Gläubiger zustehenden bzw. höheren Zinsen seien daher „verjährungsrechtlich“ so zu behandeln, „als wären die Zinsen in der zu beanspruchenden Höhe gutgeschrieben worden“. Zins(nach)forderungsansprüche werden auf diese Weise derselben Verjährung unterstellt wie das übrige angesparte Kapital. Ähnlich hat das OLG Frankfurt Zinsen, die vom Kreditinstitut dem Kapital zum Jahresende entgegen der vertraglichen Abrede nicht ordnungsgemäß zugeschlagen wurden, als gleichwohl ...
 



Verlag Dr. Otto Schmidt vom 18.05.2022 10:13
Quelle: Verlag Dr. Otto Schmidt

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