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BGH v. 30.3.2022 - VIII ZR 109/20

Bemessung des Beschwerdewertes bei einer im Hinblick auf eine verbraucherschutzgesetzwidrige Praxis erhobenen Verbandsklage

Zwar ist es nicht von vornherein ausgeschlossen, einer etwaigen herausragenden wirtschaftlichen Bedeutung einer nach § 2 UKlaG angefochtenen Praxis für die betroffenen Verkehrskreise ausnahmsweise Rechnung zu tragen, wenn die Entscheidung über die Zulässigkeit einer bestimmten Praxis nicht nur für die beklagte Partei und ihre Vertragspartner, sondern für die gesamte Branche von wesentlicher Bedeutung ist. Dabei muss der Beschwerdeführer, um dem Revisionsgericht die Prüfung der in § 544 Abs. 2 Nr. 1 ZPO geregelten Wertgrenze zu ermöglichen, innerhalb der laufenden Frist zur Begründung der Nichtzulassungsbeschwerde darlegen und glaubhaft machen, dass er mit der beabsichtigten Revision das Berufungsurteil in einem Umfang, der die Wertgrenze von 20.000 € übersteigt, abändern lassen will.

Der Sachverhalt:
Der Kläger ist eine qualifizierte Einrichtung nach § 4 UKlaG. Bei der Beklagten handelt es sich um ein führendes Energie- und Wasserversorgungsunternehmen. Im vorliegenden Verfahren hatte der Kläger die Beklagte darauf in Anspruch genommen, es im Rahmen geschäftlicher Handlungen gegenüber Verbrauchern zu unterlassen, von diesen nach eingetretenem Zahlungsverzug für die Vornahme oder Beauftragung von außergerichtlichen Inkassodienstleistungen, die dieselbe nicht titulierte Forderung der Beklagten aus Energielieferverträgen betreffen, kumulativ sowohl die Kosten für die Tätigkeit eines nicht anwaltlichen Inkassodienstleisters als auch die Kosten eines mit dem Inkasso beauftragten Rechtsanwalts als Verzugsschaden einzufordern oder einfordern zu lassen (Klageantrag zu 1a).

Außerdem forderte der Kläger von der Beklagten, es zu unterlassen, Forderungsschreiben an Verbraucher, die Vertragspartner der Beklagten sind oder waren, versenden zu lassen, in denen behauptet wird, der Schuldner sei aufgrund der Tätigkeit eines nicht anwaltlichen Inkassounternehmens zum Ersatz eines Verzugsschadens verpflichtet, der sich nach den Vor-schriften des Rechtsanwaltsvergütungsgesetzes (RVG) richte (Klageantrag zu 1b). Ferner hat der Kläger von der Beklagten begehrt, es zu unterlassen, eine näher bezeichnete Klausel in Energielieferverträgen über den Vorbehalt der Geltendmachung weiterer Verzugsschäden in tatsächlicher Höhe zu verwenden oder sich hierauf zu berufen (Klageantrag zu 2), und hat schließlich die Zahlung einer Abmahnpauschale von 260 € nebst Zinsen verlangt (Klageantrag zu 3).

Das LG hat der Klage hinsichtlich der Unterlassungsanträge zu 1b und 2 sowie hinsichtlich des Zahlungsantrags stattgegeben. Den Streitwert hat es auf insgesamt 13.000 € festgesetzt. Auf die Berufung beider Parteien hat das OLG das erstinstanzliche Urteil teilweise abgeändert und die Beklagte auch zu der vom Kläger mit Klageantrag zu 1a verlangten Unterlassung verurteilt. Die Klage hinsichtlich des Unterlassungsantrags zu 2 hat es dagegen abgewiesen. Den Streitwert hat es in Abänderung der landgerichtlichen Entscheidung ohne Begründung auf insgesamt 7.500 € (2.500 € für jeden Unterlassungsantrag) festgesetzt.

Die hiergegen gerichtete Beschwerde der Beklagten gegen die Nichtzulassung der Revision blieb vor dem BGH erfolglos.

Gründe:
Die Nichtzulassungsbeschwerde ist unzulässig, da der Wert der mit der Revision geltend zu machenden Beschwer den Betrag von 20.000 € nicht übersteigt (§ 544 Abs. 2 Nr. 1 ZPO).

Zwar ist es nicht von vornherein ausgeschlossen, einer etwaigen herausragenden wirtschaftlichen Bedeutung einer nach § 2 UKlaG angefochtenen Praxis für die betroffenen Verkehrskreise ausnahmsweise Rechnung zu tragen, wenn die Entscheidung über die Zulässigkeit einer bestimmten Praxis nicht nur für die beklagte Partei und ihre Vertragspartner, sondern für die gesamte Branche von wesentlicher Bedeutung ist, etwa weil es dabei um äußerst umstrittene verallgemeinerungsfähige Rechtsfragen von großer wirtschaftlicher Tragweite geht, über deren Beantwortung bereits vielfältig und mit kontroversen Ergebnissen gestritten wird. Dabei muss der Beschwerdeführer, um dem Revisionsgericht die Prüfung der in § 544 Abs. 2 Nr. 1 ZPO geregelten Wertgrenze zu ermöglichen, innerhalb der laufenden Frist zur Begründung der Nichtzulassungsbeschwerde darlegen und glaubhaft machen, dass er mit der beabsichtigten Revision das Berufungsurteil in einem Umfang, der die Wertgrenze von 20.000 € übersteigt, abändern lassen will.

Solche Umstände zeigt die Nichtzulassungsbeschwerde im vorliegenden Fall aber nicht auf. Insbesondere macht sie nicht äußerst umstrittene verallgemeinerungsfähige Rechtsfragen von großer wirtschaftlicher Tragweite geltend, über deren Beantwortung bereits vielfältig und mit kontroversen Ergebnissen gestritten wird. Sie verweist lediglich auf die sie selbst treffenden Auswirkungen, die sie bei einem Verzicht auf die kumulative Erstattung von Kosten für einen Inkassodienstleister und einen mit dem Inkasso beauftragten Rechtsanwalt im Falle der Beitreibung von Forderungen (Klageantrag zu 1a) zu vergegenwärtigen hätte. Dass andere Versorgungsunternehmen vergleichbare Praktiken anwendeten, trägt sie nicht vor und macht dies auch nicht glaubhaft.

Ausführungen zu den wirtschaftlichen Auswirkungen des Unterlassungsantrags zu 1b betreffend die an die Verbraucher gerichteten Forderungsschreiben fehlen vollständig. Darüber hinaus legt die Nichtzulassungsbeschwerde bezüglich der Unterlassungsbegehren zu 1a und 1b auch nicht dar, dass über den hier entschiedenen Rechtsstreit hinaus eine Vielzahl von weiteren Streitverfahren noch dazu mit divergierenden Ergebnissen über die von der Nichtzulassungsbeschwerde formulierten Rechtsfragen geführt worden bzw. anhängig sind. Es bleibt daher bei dem Grundsatz, dass für die Bemessung des Gebührenstreitwerts und der Beschwer allein das Interesse der Allgemeinheit an der Beseitigung des beanstandeten Verhaltens maßgebend ist.

Die Beschwer ist deshalb wie auch das Berufungsgericht für den Gebührenstreitwert zutreffend angenommen hat für jeden der beiden noch im Streit stehenden Unterlassungsanträge mit jeweils 2.500 € und daher mit insgesamt 5.000 € zu bemessen. Die neben den Unterlassungsanträgen geltend gemachten Abmahnkosten bleiben als Nebenforderung bei der Bemessung der Beschwer nach § 4 ZPO unberücksichtigt.

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Verlag Dr. Otto Schmidt vom 06.05.2022 13:40
Quelle: BGH online

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