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EuGH v. 28.4.2022 - C-86/20

Einfuhr von Wein aus Drittstaat: Beweiswert einer drittstaatlichen Bescheinigung über Konformität mit önologischen Verfahren der EU

Eine von drittstaatlichen Behörden ausgestellte Bescheinigung über die Konformität einer Partie Wein mit den önologischen Verfahren der EU stellt für sich genommen keinen Beweis dafür dar, dass diese Verfahren hinsichtlich der Vermarktung in der Union eingehalten worden sind. Sind diese Verfahren tatsächlich nicht eingehalten worden, obwohl eine entsprechende Bescheinigung ausgestellt worden ist, kann die Beweislast für ein Verschulden des Händlers nicht den mitgliedstaatlichen Behörden auferlegt werden.

Der Sachverhalt:
Im Januar 2016 verhängten die tschechischen Behörden eine Geldbuße i.H.v. 2.1 Mio Tschechischen Kronen (CZK) (ungefähr 80.000 €) gegen das tschechische Unternehmen Vinařství U Kapličky, dem vorgeworfen wurde, es habe aus Moldau eingeführte Weinpartien, die nicht im Einklang mit den önologischen Verfahren der Union gestanden hätten, in der Tschechischen Republik in den Verkehr gebracht.

Vinařství U Kapličky erhob beim Regionalgericht Brno (Brünn, Tschechische Republik) Klage gegen diesen Bescheid und machte u.a. geltend, dass sie von der Verantwortung für die fragliche Zuwiderhandlung hätte befreit werden müssen, weil die moldauischen Behörden bescheinigt hätten, dass die betreffenden Weinpartien mit den genannten Verfahren im Einklang stünden.

Das Regionalgericht Brno fragte den EuGH, ob die von den moldauischen Behörden ausgestellte Bescheinigung im Licht der Verordnung über die Märkte für landwirtschaftliche Erzeugnisse relevant ist, um die Konformität der fraglichen Weinpartien mit den o.g. önologischen Verfahren zu beurteilen. Außerdem möchte das Gericht wissen, ob in dem Fall, dass sich herausstellt, dass diese Verfahren entgegen der ausgestellten Bescheinigung nicht eingehalten wurden, die tschechische Regelung, die den nationalen Behörden die Beweislast für ein Verschulden des Händlers beim Verstoß gegen die Vermarktungsregeln auferlegt, mit der Verordnung über die Finanzierung der Gemeinsamen Agrarpolitik (GAP) vereinbar ist.

Mit seinem heutigen Urteil stellt der EuGH fest, dass die von den moldauischen Behörden ausgestellte Bescheinigung in der Tat dazu bestimmt ist, den Behörden des Einfuhrmitgliedstaats bei der zollrechtlichen Abfertigung der betreffenden Partie zum Zweck der Einfuhr in die Union ausgehändigt zu werden.

Die önologischen Verfahren der Union sind allerdings nicht nur im Hinblick auf die Einfuhr der betreffenden Partie, sondern auch im Hinblick auf deren Vermarktung in der Union einzuhalten. Indessen stellt die o.g. Bescheinigung, wenngleich sie auch für die Zwecke der Vermarktung der betreffenden Partie von gewisser Bedeutung ist, für sich genommen keinen Beweis dafür dar, dass die önologischen Verfahren für Vermarktungszwecke eingehalten worden sind.

Die Gründe:
Zum einen hat der Unionsgesetzgeber dieser Bescheinigung keine solche Wirkung verliehen, und zum anderen kann sich die Nichtkonformität einer Partie Wein mit den önologischen Verfahren der Union aus Umständen ergeben, die womöglich erst nach der Ausstellung der Bescheinigung, insbesondere im Rahmen der Beförderung dieser Partie, eintreten.

Wer Weinpartien in den Verkehr gebracht hat, die nicht den Vermarktungsregeln entsprechen, kann daher nicht berechtigterweise annehmen, er habe diese Regeln eingehalten, nur weil er über die vom Ausfuhrdrittland ausgestellte Bescheinigung verfügt. Da es nach der Verordnung über die Finanzierung der GAP dieser Person obliegt, zur Vermeidung der in Betracht kommenden Sanktionen zu beweisen, dass sie den Verstoß gegen diese Regeln nicht schuldhaft begangen hat, ist eine nationale Regelung, die diese Beweislast den nationalen Behörden auferlegt, nicht mit dieser Verordnung vereinbar.

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Verlag Dr. Otto Schmidt vom 03.05.2022 15:26
Quelle: EuGH PM Nr. 70 vom 28.4.2022

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