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Der Vorschlag einer EU-Lieferketten-Richtlinie (Spindler, ZIP 2022, 765)

Mit dem Vorschlag einer Richtlinie zu „Corporate Sustainability Due Diligence“ hat die EU-Kommission erneut Bewegung in die Diskussion um Sorgfaltspflichten in der Lieferkette gebracht. Der Richtlinienvorschlag geht in entscheidenden Punkten über das deutsche LkSG hinaus, insbesondere hinsichtlich der Haftung. Der Beitrag analysiert den Richtlinienentwurf vor dem Hintergrund des LkSG und zeigt Verschärfungen und Änderungen auf.


I. Einleitung
II. Bestehende Vorgaben auf der EU-Ebene
III. Struktur der vorgeschlagenen Richtlinie

1. Anwendungsbereich
1.1 Bezugnahme auf Arbeitnehmer und Umsatz
1.2 Unternehmen aus Drittstaaten
1.3 Rechtsformen
1.4 Lieferkette
2. Geschützte Belange
2.1 Menschenrechte
2.2 Umweltbelange
2.3 Generalklausel
2.4 Klimawandel
3. Betroffene
4. Risikomanagementsystem bzw. Sorgfaltspflichten (Art. 4 – 11)
4.1 Unternehmenspolitik und Identifizierung von Risiken
4.2 Risikomanagementpflichten
5. Beschwerdemanagementsysteme
6. Verhältnismäßigkeitsprinzip
7. Auditierung
8. Transparenz und Publizität
9. Standardvertragsklauseln, Guidelines und Multi-stakeholder Initiativen
10. Überwachung und Aufsichtsmaßnahmen
11. Sanktionen, insbesondere Bußgelder
IV. Haftung und Kollisionsrechtliche Regelungen
1. Grundlegender Haftungstatbestand
1.1 Pflichtwidrigkeit
1.2 Abmilderung der Haftung für mittelbare Lieferanten
1.3 Beweislast
1.4 Aktivlegitimation, insbesondere Verbandsklagen und Prozessstandschaft
1.5 Verjährungsfristen
2. Verhältnis zu anderen Haftungsadressaten
3. Verhältnis zu nationalen oder EU haftungsrechtlichen Regelungen
4. Kollisionsrechtliche Regelung
5. Auswirkungen auf Pflichten der Organmitglieder
6. Erweiterung der Berichtspflichten
V. Fazit


I. Einleitung

Kaum hatte sich der deutsche Gesetzgeber dazu durchgerungen, das Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz zu verabschieden, wird er bereits wieder eingeholt und überholt durch Entwicklungen auf der europäischen Ebene in Gestalt des am 23. Februar vorgestellten Vorschlags der EU-Kommission zu einer Richtlinie über „Corporate Sustainability Due Diligence“. Schon zuvor bestanden seit etlicher Zeit Überlegungen zur Einbindung von Unternehmen im Rahmen von Lieferketten hinsichtlich der Beachtung von Menschenrechten, nicht zuletzt um ein „level playing field“ für Unternehmen aus der EU zu schaffen bzw. uneinheitliche Wettbewerbsbedingungen zu verhindern. Zudem soll die EU als weltweit größter Binnenmarkt eine Vorreiterrolle einnehmen, um so den europäischen Pflichtenmaßstab in die Welt hinaus zu tragen und damit Standards für die weltweite Wertschöpfungskette zu setzen. Dementsprechend verlangte der Rat der Mitgliedstaaten ausdrücklich und einstimmig eine „sustainable global supply chains“ und „responsible management in global supply chains“, und zwar u.a. mittels „corporate social responsibility“ und „due diligence with respect to human rights“. Vor diesem Hintergrund ist vor allem der Initiativbeschluss des Europäischen Parlaments zur Entwicklung von Sorgfaltspflichten für Unternehmen gegenüber ihren Vorlieferanten hinsichtlich von Menschenrechten und Umweltbelangen von besonderem Interesse, der parallel und unabhängig von den Bestrebungen der Kommission erfolgte, und nach Vorbereitung durch seinen Rechtsauschuss, der am 27.1.2021 fast einstimmig einen Vorschlag annahm, einen entsprechenden Richtlinienentwurf am 10.3.2021 mitsamt Forderungen und Empfehlungen an die Kommission verabschiedete. Dieser Vorschlag diente in weiten Teilen offenbar als Vorbild für den nachfolgenden Vorschlag der EU-Kommission, zog aber auch viel Kritik auf sich. Der folgende Beitrag gibt einen kurzen Überblick über die Struktur der vorgeschlagenen Richtlinie und ihrer nach wie vor bestehenden Defizite. Dabei liegt ein Schwerpunkt auf den Vorschlag einer Haftungsnorm (IV) – was das deutsche LkSG noch sorgsam vermieden hatte.

II. Bestehende Vorgaben auf der EU-Ebene
Schon vor dem Vorschlag des EU-Parlaments und nachfolgender EU-Kommission gibt es eine Art „Blaupause“ in Gestalt der Konfliktmineralien-VO: Sektorspezifisch setzt die EU hier entsprechende Sorgfaltspflichten für die Unternehmer hinsichtlich der Lieferanten um (Art. 5 Abs. 1 a), Abs. 4, ebenso in der Holzhandels-VO, Art. 6 Abs. 1 a), b)); ferner sieht die VO Nachweispflichten von Holzhändlern und -importeuren hinsichtlich des Ursprungs des Holzes, zum Lieferanten sowie Verfahren zur Einschätzung und Reduzierung des Risikos vor, dass das Holz aus illegalem Einschlag stammt. Demnach müssen die Importeure in der EU ein Risikomanagement einführen, dass den Prinzipien der OECD genügt. Dabei definiert Art. 2 c) Konfliktmineralien-VO die Lieferkette für Minerale als System der Aktivitäten, Organisationen, Akteure, Technologien, Informationen, Ressourcen und Dienste, die an der Verbringung und Aufbereitung der Minerale von der Abbaustätte bis hin zu ihrer Verarbeitung im Endprodukt beteiligt sind. Unterteilt wird dies dabei in eine vorgeschaltete Lieferkette für Minerale („upstream“, Art. 2 j) Konfliktmineralien-VO) und eine nachgeschaltete Metalllieferkette („downstream“, Art. 2 k) Konfliktmineralien-VO). Die Unionseinführer werden von Art. 4 a), b) Konfliktmineralien-VO dazu verpflichtet, ihre Lieferkettenpolitik entsprechend den in Anhang II der OECD-Leitsätze festgelegten Standards zu gestalten und ihre Lieferanten und die Öffentlichkeit hierüber zu unterrichten, ebenso zur Bestellung eines Beauftragten zur Überwachung der Sorgfaltspflichten (Art. 4 c)). Die Parallelen zum Vorschlag der EU-Kommission (und dem LkSG) sind augenfällig – mit der Ausnahme der Bestellung eines Beauftragten.

Nach Art. 4 Abs. d) Konfliktmineralien-VO müssen die Einführer zudem in den Verträgen mit ihren Lieferanten die Verankerung der Lieferkettenpolitik (und damit mittelbar der OECD-Leitsätze) vorsehen. Durch die in der Konfliktmineralien-VO enthaltenen Verweise auf Abschnitte der OECD-Leitsätze, werden diese zu einzuhaltenden Mindeststandards im Bereich der Konfliktmineralien-VO. Ferner sind die Importeure von Mineralen gehalten, eine Strategie für den Umgang mit den ermittelten Risiken zu entwickeln (Art. 5 Abs. 1 b) Konfliktmineralien-VO), die von Risikominderungen bei Lieferanten über die vorübergehende Unterbrechung der Handelsbeziehungen bis zum endgültigen Abbruch reichen – auch dies in Parallele zu den Vorgaben im RL-E ebenso wie im LkSG. Leicht modifiziert werden diese Pflichten für die Importeure von Metallen (Art. 5 Abs. 4, 5 der Konfliktmineralien-VO).

Ferner sind Audits durch unabhängige Dritte durchzuführen (Art. 6 Abs. 1 Konfliktmineralien-VO), die die Konfliktmineralien-VO nicht definiert. Bei der Prüfung durch Dritte sieht Art. 6 Abs. 1 d) Konfliktmineralien-VO die Einhaltung der Grundsätze Unabhängigkeit, Kompetenz und Rechenschaftspflicht nach den OECD-Leitsätzen vor – ohne dass eine Festlegung auf einen Auditstandard stattfände. Art. 6 Abs. 2 Konfliktmineralien-VO sieht für Importeure von Metallen eine Ausnahme von der Pflicht zur Durchführung einer Prüfung durch Dritte vor, allerdings unter hohen Hürden.

Flankiert werden diese Pflichten von Offenlegungspflichten der Unionseinführer, einerseits gegenüber den Aufsichtsbehörden (Art. 7 Abs. 1), andererseits gegenüber unmittelbaren Abnehmern (Art. 7 Abs. 2) einschließlich des Third Party Audits außer wettbewerbssensibler Daten, ferner einmal jährlich gegenüber der Öffentlichkeit. Zivilrechtliche Sanktionen sieht die VO dagegen nicht vor.

III. Struktur der vorgeschlagenen Richtlinie
Der neue Richtlinien-Vorschlag der EU orientiert sich grob an dem schon von der Konfliktmineralien-VO gezogenen Rahmen sowie dem Vorschlag des Europäischen Parlaments, indem die Schwerpunkte auf einer behördlichen Aufsicht über die Einhaltung der von dem Richtlinien-Vorschlag geforderten Risikomanagementpflichten sowie einer entsprechenden Haftung der an einer Lieferkette beteiligten Gesellschaft gelegt werden:

1. Anwendungsbereich

1.1 Bezugnahme auf Arbeitnehmer und Umsatz

Schon der Vorschlag des Europäischen Parlaments orientierte sich zunächst an „großen Unternehmen“, wobei der Vorschlag offenbar die Begrifflichkeiten nach Art. 3 Abs. 4 der Bilanz-Richtlinie aufnimmt – was schon im Anwendungsbereich deutlich weiter als das deutsche LkSG reicht und Vorschlägen von NGOs eher entspricht. Selbst kleinere und mittlere Unternehmen sollten...
 



Verlag Dr. Otto Schmidt vom 27.04.2022 11:07
Quelle: Verlag Dr. Otto Schmidt

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