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BSG v. 3.11.2021 - B 11 AL 4/20 R

Insolvenzgeldanspruch: BSG ändert Rechtsprechung zum "arbeitsförderungsrechtlichen Arbeitnehmerbegriff"

Das BSG gibt seine bisherige Rechtsprechung, die für den Insolvenzgeldanspruch von einem speziellen "arbeitsförderungsrechtlichen Arbeitnehmerbegriff" ausgegangen ist, auf: Der im Gesetz nicht definierte insolvenzgeldrechtliche Arbeitnehmerbegriff ist vielmehr arbeitsrechtlich zu verstehen.

Der Sachverhalt:
Der Kläger schloss am 20.5.2011 einen Arbeitsvertrag mit einer AG, für die er auf dieser Grundlage zumindest vom 1.7.2011 bis 30.9.2011 tätig war. Am 27.6.2011 wurde er als einzelvertretungsberechtigter Vorstand der AG in das Handelsregister eingetragen. Sein Ausscheiden als Vorstand wurde am 22.9.2011 eingetragen; in der Zwischenzeit hatte die AG keinen weiteren Vorstand. Am 19.3.2013 wurde das Insolvenzverfahren über das Vermögen der AG eröffnet. Dem Kläger standen seinerzeit noch offene Netto-Arbeitsentgeltforderungen von ca. 1.700 € für August 2011 und von ca. 3600 € für September 2011 zu. Daraufhin gewährte die beklagte Bundesagentur für Arbeit ihm einen Vorschuss auf das streitgegenständliche Insolvenzgeld in Höhe von 3800 €.

Nach einem Hinweis des Insolvenzverwalters auf die Bestellung des Klägers zum Vorstand der AG lehnte die Beklagte dessen Insolvenzgeldantrag ab und verlangte die Erstattung des gezahlten Vorschusses. Dem Kläger fehle es an der erforderlichen Arbeitnehmereigenschaft, weil er als Vorstand eine unternehmerähnliche Position innegehabt habe.

Diesen Bescheid hob das SG auf und verurteilte die Beklagte antragsgemäß, dem Kläger für den Zeitraum vom 1.7.2011 bis 30.09.2011 Insolvenzgeld i.H.v. insgesamt ca. 5.300 € zu gewähren. Der Kläger sei als Arbeitnehmer anzusehen, obwohl er zum Vorstand der AG bestellt gewesen sei. Diese Stellung habe er tatsächlich nicht wahrgenommen. Vielmehr sei er weisungsgebunden im Vertrieb der AG tätig gewesen. Von den ihm rechtlich zustehenden Befugnissen als Vorstand habe er keinen Gebrauch gemacht.

Das LSG wies die Berufung der Beklagten zurück. Von der Organstellung des Klägers dürfe nicht auf die Rechtsnatur des Innenverhältnisses zur AG geschlossen werden. Diesem liege ein schuldrechtlicher Anstellungsvertrag zugrunde, der im vorliegenden Fall als Arbeitsvertrag zu qualifizieren sei.

Die Revision der Beklagten ist ohne Erfolg geblieben.

Die Gründe:
Die Vorinstanzen haben zu Recht entschieden, dass dem Kläger gegen die Beklagte ein Anspruch auf Gewährung von Insolvenzgeld zusteht. Der Kläger war im Inland tätig und hatte bei Eintritt des Insolvenzereignisses noch offene Ansprüche auf Arbeitsentgelt für die vorausgegangenen drei Monate seines Arbeitsverhältnisses.

Entgegen der Ansicht der Beklagten war der Kläger im Insolvenzgeldzeitraum auch als Arbeitnehmer der AG anzusehen. Dem steht nicht entgegen, dass er in dieser Zeit überwiegend zugleich deren Vorstand war. Der Senat gibt die bisherige Rechtsprechung, die für den Insolvenzgeldanspruch von einem speziellen "arbeitsförderungsrechtlichen Arbeitnehmerbegriff" ausgegangen ist, auf. Der im Gesetz nicht definierte insolvenzgeldrechtliche Arbeitnehmerbegriff ist vielmehr arbeitsrechtlich zu verstehen. Nach den Feststellungen des LSG hat der Kläger mit der AG einen Arbeitsvertrag geschlossen, der weder im zeitlichen Zusammenhang mit seiner Bestellung zum Vorstand noch in der Folgezeit durch einen separaten Anstellungsvertrag oder eine anderweitige schuldrechtliche Vereinbarung geändert oder aufgehoben worden ist.

Das Arbeitsverhältnis hat nach den Feststellungen des LSG in Ermangelung einer diesbezüglichen Abrede auch nicht geruht, sondern ist durchgehend vollzogen worden. Dagegen steht die bloße Organstellung, die der Kläger im streitgegenständlichen Zeitraum überwiegend inne hatte, seiner Einordnung als Arbeitnehmer nicht entgegen. Sie beruht auf dem Akt der Bestellung, der rechtlich unabhängig von dem für das Innenverhältnis zwischen der Gesellschaft und dem Vorstand maßgeblichen Anstellungsvertrag ist. Zwar ist dieser in aller Regel als freier Dienstvertrag im Sinne von §§ 611, 675 BGB zu qualifizieren. Darauf kommt es im vorliegenden Fall jedoch nicht an, weil zwischen dem Kläger und der AG nach den Feststellungen des LSG im Hinblick auf seine Vorstandstätigkeit kein Anstellungsvertrag zustande gekommen ist.

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Verlag Dr. Otto Schmidt vom 19.04.2022 16:12
Quelle: BSG online

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