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Abwahl des AGB-Rechts per Rechtswahl und Schiedsvereinbarung: Problem oder Problemlöser? (Ostendorf, ZIP 2022, 730)

Ob sich die Vertragsparteien im unternehmerischen Geschäftsverkehr (auch) bei reinen Inlandssachverhalten mit Hilfe einer Schiedsvereinbarung der AGB-Inhaltskontrolle entledigen können, wird bereits seit mehreren Jahren kontrovers diskutiert. Mittlerweile hat die Fragestellung deutlich an Brisanz gewonnen, weil deutsche Unternehmen zunehmend tatsächlich diesen Weg einschlagen. Dabei wird allerdings oft nicht bedacht, dass die Zulässigkeit eines solchen Vorgehens u.a. entscheidend von der Wirksamkeit der Schiedsvereinbarung und damit zugleich dem auf die Schiedsvereinbarung anwendbaren Sachrecht abhängt. Unabhängig davon wirft die Möglichkeit einer Abwahl einfach zwingender Normen zumindest bei Binnensachverhalten aber auch grundlegende rechtspolitische Fragen auf.


I. Einleitung

1. Rechtstatsachen

2. Erste Einordnung

II. Rechtliche Ausgangsbedingungen einer Wahl deutschen Rechts unter Ausschluss der §§ 305 ff. BGB

1. Rechtscharakter der (Ab-)Wahl

2. Bedeutung des Forums der Streitbeilegung

III. Die Wirksamkeit der Schiedsvereinbarung als Dreh- und Angelpunkt

IV. Die Bestimmung des auf die Schiedsvereinbarung anwendbaren Rechts (Schiedsvereinbarungsstatut)

1. Maßgebliches Kollisionsrecht aus Sicht des Schiedsgerichts

2. Maßgebliches Kollisionsrecht aus Sicht eines deutschen Gerichts

V. Inhaltskontrolle der Schiedsvereinbarung

1. Einbeziehungs- und Inhaltskontrolle aus Sicht eines Schiedsgerichts mit Sitz in der Schweiz

2. Inhaltskontrolle aus Sicht eines deutschen Gerichts bei ausländischem Schiedsort

a) Inhaltskontrolle bei deutschem Schiedsvereinbarungsstatut

b) Differenzierung zwischen reinen Inlands- und internationalen Sachverhalten?

c) Die Wahl eines ausländischen Schiedsorts und eines ausländischen Schiedsvereinbarungsstatuts als möglicher Ausweg?

V. Wirksamkeit der Rechtswahl

1. Wirksamkeit aus Sicht eines Schiedsgerichts mit Sitz in der Schweiz

2. Wirksamkeit der Rechtswahl aus Sicht eines deutschen Gerichts

VI. Fazit und rechtspolitischer Ausblick


I. Einleitung

1. Rechtstatsachen


Vor ziemlich genau 10 Jahren wurde in einem viel beachteten Beitrag die Auffassung vertreten, Vertragsparteien könnten (auch) in reinen Inlandsfällen mit Hilfe einer Schiedsvereinbarung der im unternehmerischen Geschäftsverkehr vielfach als zu restriktiv empfundenen AGB-Inhaltskontrolle entkommen. Dieser Problematik soll im Folgenden nicht nur mit Blick auf reine Inlandsfälle, sondern auch für genuin internationale Vertragsschlüsse erneut nachgegangen werden: Denn mittlerweile stellt die Handlungsoption einer Wahl deutschen Rechts unter Ausschluss der §§ 305 ff. BGB keineswegs mehr nur akademische Glasperlenspielerei oder eine auf Einzelfälle beschränkte „fragwürdige Vermeidungsstrategie“ dar, sondern ist für eine Vielzahl verschiedener Transaktionsarten signifikante Realität geworden und damit zugleich im Mainstream der Vertragsgestaltung angekommen. Entsprechende Klauseln finden sich nach eigener Beobachtung des Verfassers in zahlreichen Standardverträgen, darunter beispielsweise den jüngst überarbeiteten Gewährleistungsvereinbarungen eines DAX-Unternehmen aus dem Bereich Automotive, das die Rechtswahl zugunsten deutschen Rechts unter Ausschluss der §§ 305 ff. BGB mit einer Schiedsvereinbarung und einem Schiedsort in der Schweiz (allerdings auch der Wahl deutschen Rechts (!) als Schiedsvereinbarungsstatut) verbunden hat.

Eine um die §§ 305 ff. BGB kupierte Wahl deutschen Rechts in Kombination mit einer Schiedsvereinbarung wird darüber hinaus aber auch bei prima facie individuell ausgehandelten großvolumigen Verträgen zunehmend beliebter,6 wo offenbar die Sorge vor einer möglichen Inhaltskontrolle zumindest einzelner vorformulierter und nicht i.S.v. § 305 Abs. 1 Satz 3 BGB im Einzelnen ausgehandelter Klauseln diese Option als attraktiv erscheinen lässt.

2. Erste Einordnung

Sollte die Abwahl des AGB-Rechts bei ansonsten verbleibender Anwendbarkeit deutschen Vertragsrechts tatsächlich verlässlich möglich sein, kann kaum bezweifelt werden, dass diese Handlungsoption nicht nur für rein nationale, sondern auch internationale Vertragsabschlüsse als echter Game-Changer anzusehen ist: Nicht nur dürfte die viel diskutierte Flucht deutscher Unternehmen in ausländische Rechtsordnungen, namentlich in das Schweizer und das englische Vertragsrecht mit den hier unzweifelhaft bestehenden Schattenseiten an Attraktivität verlieren: Denn anders als bei der vor Schiedsgerichten ebenfalls möglichen Wahl bekannter soft law Kodifikationen wie den Unidroit Principles of International Commercial Contracts 2016 könnten in Deutschland ansässige Parteien ihren Vertrag auf diesem Weg (mit Ausnahme der AGB-rechtlichen Restriktionen) einem Vertragsstatut unterstellen, das ihnen bestens bekannt ist und dessen Anwendung im Einzelfall durch genügend Rechtsprechung anders als etwa bei den Unidroit Principles  regelmäßig auch ausreichend vorhersehbar ist. Nicht einmal ein (rechtlicher) Schiedsort im Ausland hätte einen höheren Lästigkeitswert, da die tatsächliche Durchführung des Schiedsverfahrens grundsätzlich auch an einem anderen (und damit letztlich auch inländischem) Ort erfolgen kann.

Noch radikaler sind die Folgen, wenn die Abwahl der AGB-Inhaltskontrolle auf diesem Weg auch bei rein inländischen Sachverhalten rechtssicher möglich wäre: Da sich die Parteien dann in allen Fallkonstellationen (einfach) zwingenden Vertragsbestimmungen des (deutschen) Einbettungsstatuts entziehen könnten, wäre einer effektiven staatlichen Regulierung vertraglicher Beziehungen im unternehmerischen Geschäftsverkehr insbesondere mit Blick auf Schutzvorschriften zugunsten der typischerweise mit weniger Verhandlungsmacht ausgestatteten Partei unterhalb der Schwelle von Eingriffsnormen (...)
 



Verlag Dr. Otto Schmidt vom 19.04.2022 11:25
Quelle: Verlag Dr. Otto Schmidt

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