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Zwischenruf zum AGB-Änderungsmechanismus der Banken (Vogel, ZIP 2022, 682)

Völlig überraschend, auf fraglicher rechtlicher Grundlage und mit verheerenden Folgen für die Praxis hat der BGH im April letzten Jahres den bewährten Vertragsmechanismus der Banken und Sparkassen zur Anpassung ihrer Allgemeinen Geschäftsbedingungen an geänderte Rahmenbedingungen verworfen. Als weiterer Baustein zum Ausbau des Verbraucherschutzes im Bereich der Finanzdienstleistungen gedacht, ist inzwischen jedoch offensichtlich, dass das Urteil letztendlich nur Verlierer hinterlässt. Zu diesen gehören auch Verbraucher und der deutsche Markt für Zahlungsdienste an sich. Eine Korrektur durch den Gesetzgeber ist erstens ein Leichtes und zweitens dringend geboten.

Jetzt ist der Gesetzgeber gefragt!
Die Postbank-Entscheidung vom 27.4.2021, mit der der XI. Zivilsenat des BGH den auf einer Zustimmungsfiktion der Kunden basierenden Vertragsmechanismus der Banken und Sparkassen zur Änderung ihrer Allgemeinen Geschäftsbedingungen verworfen hat, hat hohe Wellen geschlagen. Die Kreditwirtschaft sieht ihre jahrzehntelang geübte Praxis der Vertragsanpassung in Trümmern liegen. Aus Verbrauchersicht ist das Urteil nur vordergründig ein Segen, auf lange Sicht jedoch ein „Pyrrhussieg“. Der Gesetzgeber mag sich verwundert die Augen reiben.

Ohne die wirtschaftlichen Folgen seiner Entscheidung zu bedenken, unter Verkennung der rechtsökonomischen Gegebenheiten langjähriger Dauerschuldverhältnisse und mit Blick auf die praktische Umsetzung ein hohes Maß an Rechtsunsicherheit stiftend, hat der XI. Zivilsenat des BGH ein über Jahrzehnte bewährtes und im Massengeschäft mit Bankprodukten unerlässliches Rechtsinstitut buchstäblich „vom Tisch gewischt“. Nicht beeindruckt hat ihn dabei, dass die Vertragsänderung auf der Grundlage einer Zustimmungsfiktion sogar im Gesetz verankert ist. Der Bankensenat des BGH hat die einschlägigen gesetzlichen Regeln (§ 308 Nr. 5 und § 675g BGB, § 42 Abs. 2 Nr. 4 ZKG) ins Gegenteil verkehrt, die amtlichen Begründungen hierzu verkannt, und sich damit de facto zum Ersatzgesetzgeber erhoben. Zutreffend hatte die bankrechtliche Rechtsprechung die Zustimmungsfiktion nach Maßgabe der AGB-Banken und -Sparkassen bislang stets als zulässig angesehen. Auch und gerade der XI. Zivilsenat des BGH selbst hatte bekanntlich noch in seinen Urteilen zu Prämiensparverträgen die Zulässigkeit des tradierten AGB-Änderungsmechanismus anerkannt, indem er eine über den – kurz darauf verworfenen – Vertragsänderungsmechanismus angepasste Klausel zum ordentlichen Kündigungsrecht in den AGB-Sparkassen als wirksam ansah, ohne den Weg der Anpassung der Kündigungsklausel auch nur mit einer Silbe anzusprechen.

Die einhellige Kritik des Schrifttums hat die Schwächen der Postbank-Entscheidung deutlich herausgearbeitet. Darum soll es an dieser Stelle nicht weiter gehen. Vielmehr sollen die praktischen (Langzeit-)Folgen der Entscheidung in den Blick genommen werden. Diese führen für keinen der Beteiligten zu Verbesserungen, so dass es am Ende nur Verlierer gibt: Kredit- und Zahlungsinstitute müssen aufgrund der Postbank-Entscheidung künftig für jede noch so nebensächliche oder technische Vertragsanpassung teure und komplizierte Prozesse aufsetzen, um die ausdrückliche Zustimmung eines jeden Kunden einzuholen. Die wiederholte bankseitige Erinnerung und Rücksprache zur Einholung der ausdrücklichen Kundenzustimmung bindet nicht nur finanzielle und personelle Kapazitäten bei den Kredit- und Zahlungsinstituten, sondern wird zudem von Kunden vielfach als störend empfunden. Kunden können aktuell zwar im Einzelfall Rückforderungsansprüche für die Vergangenheit erheben, müssen aber andererseits künftig stets die Kündigung ihrer Geschäftsbeziehung befürchten, wenn sie bewusst oder – wie regelmäßig aus rationalem Desinteresse – unbewusst einer angebotenen Vertragsänderung nicht ausdrücklich zustimmen. So hat etwa die von der BGH-Entscheidung unmittelbar betroffene Postbank aktuell bereits eine „mittlere fünfstellige Zahl“ von Kontokündigungen ausgesprochen, nachdem mehrmals...



Verlag Dr. Otto Schmidt vom 13.04.2022 10:28
Quelle: Verlag Dr. Otto Schmidt

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