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Ein erstes Rechtskleid für die Decentralized Autonomous Organization: Die Wyoming DAO LLC - Vorbild auch für Deutschland? (Fleischer, ZIP 2021, 2205)

Dezentrale autonome Organisationen sind allenthalben auf dem Vormarsch, und das Gesellschaftsrecht hinkt hinterher. Dieser Beitrag führt in die Welt digitaler Gesellschaften ein, dokumentiert den aktuellen Diskussionsstand zu ihrer sach- und kollisionsrechtlichen Einordnung und stellt mit der Wyoming DAO LLC die weltweit erste Rechtsformvariante vor, die speziell auf ihre Bedürfnisse zugeschnitten ist. Abschließend erörtert er, ob es hierzulande ein Bedürfnis für die Anreicherung des Rechtsformentableaus um eine "Kryptogesellschaft" gibt.

I.  Einführung
II.  Technische Grundlagen, Konzept und Anwendungsfelder für DAOs
III.  Rechtliche Einordnung von DAOs

1.  Sachrechtliche Einordnung
1.1  Deutschland
1.2  Vereinigte Staaten
2.  Kollisionsrechtliche Behandlung
2.1  Keine zulässige Rechtswahl einer außerstaatlichen lex cryptographica
2.2  Anknüpfungsschwierigkeiten bei einer dezentralen Gesellschaftsform
IV.  Regelungsrahmen für die LLC in den Vereinigten Staaten
1.  Siegeszug der LLC in den Vereinigten Staaten
2.  Rechtsnatur der LLC
3.  Gründungs- und Governance-Vereinbarungen
4.  Vertragsfreiheit als gesetzlicher Leitstern
5.  Organisationsverfassung
6.  Haftungsverfassung
7.  Mitgliedschaftliche Rechte und Pflichten
V.  Zielsetzungen und Regelungsstrukturen der Wyoming DAO LLC
1.  Wahl des Status einer DAO LLC
2.  Gründungsvorgang
3.  Gründungs- und Governance-Vereinbarungen
4.  Organisationsverfassung
5.  Mitgliedschaftliche Rechte und Pflichten
6.  Auflösung
VI.  Verwendung der Wyoming DAO LLC durch hiesige Nutzer
VII.  Eine neue Gesellschaftsform für die DAO auch in Deutschland?

1.  Rechtspolitisches Bedürfnis für DAO-spezifische Regelungen
2.  Kernelemente für ein DAO-Sonderregime
3.  Rechtsformneuschöpfung versus Rechtsformvariante
VIII.  Ergebnisse


I.  Einführung

Wyoming, der bevölkerungsärmste Bundesstaat der Vereinigten Staaten, gilt als einer der Vorreiter im US-amerikanischen Gesellschaftsrecht. Hier erblickte am 3.3.1977 die Limited Liability Company (LLC) das Licht der Welt, die heute mit ihrem hybriden Charakter zwischen Personen- und Kapitalgesellschaft die beliebteste US-amerikanische Gesellschaftsform für Unternehmensgründer darstellt. Und hier kann seit dem 1.7.2021 auf der Grundlage eines Anhangs zum einheimischen LLC Act eine sog. Decentralized Autonomous Organization (DAO) als LLC in das Register eingetragen werden. Schon vier Tage später hat mit der American CryptoFed, einem Anbieter von mobilen Bankenlösungen, eine erste DAO von dieser Möglichkeit Gebrauch gemacht.

Der vorliegende Beitrag untersucht als Teil eines breit angelegten Forschungsprogramms zu Rechtsformneuschöpfungen im in- und ausländischen Gesellschaftsrecht, ) was es mit der DAO im Allgemeinen und der Wyoming DAO LLC im Besonderen auf sich hat. Er erläutert zunächst technische Grundlagen, Konzept und Anwendungsfelder für DAOs (II), bevor er sich ihrer sach- und kollisionsrechtlichen Einordnung zuwendet (III). Sodann geht es um den allgemeinen Regelungsrahmen für LLCs in den Vereinigten Staaten (IV). Hierauf aufbauend folgt ein ausgedehnter Rundgang durch das Reformgesetz in Wyoming, das Gründern und Teilnehmern von DAOs weltweit erstmals ein maßgeschneidertes Rechtskleid zur Verfügung stellt (V). Ein abschließender Ausblick widmet sich der Verwendung der Wyoming DAO LLC durch hiesige Nutzer (VI) und dem künftigen Regelungsrahmen für digitale Gesellschaften in Deutschland (VII).

II.  Technische Grundlagen, Konzept und Anwendungsfelder für DAOs
Bei einer DAO handelt es sich um eine neue, dezentrale und digitale Organisationsform, die mittels eines Programmcodes automatisch bestimmte Transaktionen ausführt. Sie ist im juristischen Schrifttum zuletzt verschiedentlich vorgestellt worden, ohne dass sich allerdings eine einheitliche Definition herausgebildet hat. Etwas vereinfacht macht sich eine DAO die Blockchain- oder Distributed-Ledger-Technologie zunutze – ein verteiltes Netzwerk, bei dem jeder in das Netzwerk integrierte Rechner („node“) gleichberechtigt ist („Peer-to-Peer-Network“) und über dieselben Datensätze verfügt. Diese redundante Datenverwaltung erlaubt eine weitgehend fälschungssichere Speicherung und Verarbeitung von Transaktionen mit digitalen Vermögenswerten. Die einzelnen Transaktionen werden durch einen sog. Smart Contract in die Wege geleitet und ausgeführt, bei dem es sich regelmäßig nicht um einen Vertrag im Rechtssinne handelt, sondern um einen sich selbst durchsetzenden Software-Code, der keiner gesonderten Vollstreckung mehr bedarf. Auf diese Weise lassen sich „gesellschaftsähnliche Organisationen“ schaffen und auf der Blockchain abbilden. Das geschieht häufig auf der Plattform Ethereum, die hierfür dezentrale Applikationen (DApps) anbietet.

Konzipiert worden sind DAOs ursprünglich als eine Art Anlage- oder Investmentfonds: Nutzer können über die Distributed-Ledger-Technologie virtuelle Währungen einlegen und erhalten im Gegenzug eine virtuelle Rechtsposition („token“), die ihnen Vorschlags-, Stimm- und Dividendenrechte im Hinblick auf künftige Anlageprojekte verschafft. Über den Einsatz des eingesammelten Kapitals entscheiden die Anleger mittels vordefinierter Abstimmungsregeln im Programmcode. Wird ein Anlagevorschlag angenommen, so führt ihn der Programmcode automatisch aus. Eines Geschäftsführers oder Vorstands bedarf es hierfür nicht. Vielmehr zeichnen sich DAOs gerade durch ihr dezentrales Management aus.

Die wohl bekannteste DAO ist im Jahre 2016 unter der Bezeichnung „The DAO“ entstanden. Ihr Initiator, der deutsche Programmierer Christoph Jentzsch, hatte den Programmcode im Internet offen zur Verfügung gestellt. Dieser konnte auf der Ethereum-Blockchain abgelegt und sodann aktiviert werden. Jentzsch selbst wählte eine so geschaffene DAO aus, gab ihr den Namen „The DAO“ und warb mit Hilfe der von ihm mitgegründeten Slock.it UG um Investorengelder. Nutzer der Ethereum-Blockchain sollten die Kryptowährung Ether an eine digitale Adresse von „The DAO“ überweisen und dafür Anteilsrechte erhalten. Innerhalb weniger Wochen kam so Kapital im Gegenwert von 160 Mio. US-Dollar zusammen: „das größte Crowdfunding Projekt aller Zeiten“, über das national und international ausgiebig berichtet wurde. Kurz darauf geriet „The DAO“ abermals in die Schlagzeilen, als sie durch einen Hackerangriff aufgrund einer Schwachstelle in ihrem Programmcode vor aller Augen 50 Mio. US-Dollar verlor. Nach intensiven Diskussionen entschieden sich die Anleger mit großer Mehrheit für einen Eingriff in den Programmcode („hard fork“) und konnten so den Verlust des Geldes auf der Ethereum-Blockchain wieder rückgängig machen. Gleichwohl war das Projekt „The DAO“ danach gescheitert. Dem Blockchain-Konzept als solchem vermochte dies aber nichts anzuhaben; inzwischen gibt es Dienstleister wie Aragon.org oder DAOStack.io, die bei der Initiierung einer DAO behilflich sind und  ...
 



Verlag Dr. Otto Schmidt vom 03.11.2021 10:34
Quelle: Verlag Dr. Otto Schmidt

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