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EuGH, C-165/20: Schlussanträge des Generalanwalts vom 23.9.2021

Air Berlin: Aufhebung der kostenlosen Zuteilung von Luftverkehrsemissionszertifikaten

Generalanwalt Hogan hat sich in seinen vorliegenden Schlussanträgen mit der Frage befasst, wie Treibhausgasemissionszertifikate, die einem Luftfahrzeugbetreiber zugeteilt waren, in einem Insolvenzverfahren zu behandeln sind, nachdem dieser Betreiber seine Geschäftstätigkeit eingestellt hat.

Der Sachverhalt:
Der Insolvenzverwalter von Air Berlin beanstandet vor dem VG Berlin den Bescheid der Deutschen Emissionshandelsstelle vom 28.2.2018, mit dem die Air Berlin zuvor für die Jahre 2018 bis 2020 gewährte kostenlose Zuteilung von Treibhausgasemissionszertifikaten zurückgenommen wurde. Die Rücknahme wurde damit begründet, dass Air Berlin im Oktober 2017 ihre Luftverkehrstätigkeit wegen Insolvenz eingestellt habe.

Das VG Berlin ersucht den EuGH in diesem Zusammenhang um Auslegung der Richtlinie 2003/87 über den Handel mit Treibhausgasemissionszertifikaten ersucht.

Die Gründe:
Art. 2 Abs. 1, Art. 3a, Art. 3 Buchst. o, Art. 3e Abs. 1, Art. 3e Abs. 5, Art. 12 Abs. 2a und Art. 28a Abs. 1 und 2 sowie Anhang I der Richtlinie 2003/87/EG über ein System für den Handel mit Treibhausgasemissionszertifikaten in der Gemeinschaft stehen der jährlichen Ausgabe kostenlos zugeteilter Luftverkehrszertifikate an einen Luftfahrzeugbetreiber im Fall der Einstellung der Luftverkehrstätigkeit durch diesen Betreiber entgegen.

An Air Berlin darf nach der Einstellung ihrer Luftverkehrstätigkeit keine jährliche Ausgabe kostenlos zugeteilter Luftverkehrszertifikate gem. Art. 3e Abs. 5 der Richtlinie 2003/87 erfolgen. Da Air Berlin ihre Luftfahrttätigkeit in Bezug auf die Handelsperiode 2018 bis 2020 zudem endgültig eingestellt hat, reicht für die vorliegenden Zwecke die Feststellung, dass die Handelsstelle den Bestimmungen der Richtlinie 2003/87, insbesondere deren Art. 3e Abs. 5, volle Wirkung verleihen kann, indem sie die ursprüngliche Zuteilungsentscheidung in Bezug auf diese Handelsperiode nach ihrem nationalen Recht aufhebt oder ändert.

Da die betreffenden Zertifikate aufgrund einer unionsrechtlichen Regelung kostenlos zugeteilt worden seien und nicht aus dem Vermögen oder der Geschäftstätigkeit eines Luftverkehrsbetreibers, vorliegend Air Berlin, stammen, stellen sie keine durch die Unionsrechtsordnung geschützten Eigentumsrechte dar. Das Emissionshandelssystem ist lediglich ein Mechanismus, der Anreize für ein bestimmtes wirtschaftliches Verhalten (nämlich die Reduktion von Treibhausgasen) schaffen soll. Die Zertifikate konnten zwar und sind auch gehandelt worden, dies ist jedoch im Kontext von Unternehmen zulässig, die noch eine anderweitige wirtschaftliche Tätigkeit ausüben (wie etwa Luftverkehr), die zwangsläufig geeignet war, zur Umweltverschmutzung beizutragen. Es war zu keinem Zeitpunkt vorgesehen, dass diese Zertifikate selbst unabhängig von dieser wirtschaftlichen Tätigkeit monetarisiert werden könnten oder dass sie eine währungsähnliche Form annehmen und im Falle einer Insolvenz als liquider Vermögenswert behandelt werden könnten.

Es würde die praktische Wirksamkeit der Richtlinie 2003/87 unterlaufen, mit der Umweltschutz und wirtschaftliche Fortentwicklung in Einklang gebracht werden sollen, wenn kostenlos zugeteilte Luftverkehrszertifikate von der Handelsstelle an den Kläger, den Insolvenzverwalter von Air Berlin, für den Zeitraum 2018 bis 2020 ausgegeben würden, in dem dieser Luftfahrzeugbetreiber seine Tätigkeit eingestellt hat und nicht mehr der Emissionshandelspflicht unterliegt. Unter diesen Umständen ist der gesamte Sinn und Zweck der Zuteilung und Vergabe kostenloser Zertifikate an Air Berlin im Rahmen des Emissionshandelssystems entfallen, so dass dem Kläger lediglich ein Zufallsgewinn zulasten des Emissionshandelssystems entsteht.



Verlag Dr. Otto Schmidt vom 27.09.2021 12:46
Quelle: EuGH online

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