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Aktuell in der ZIP

Modernisierung des Betriebsverfassungsrechts (Rolfs/Wolf, ZIP 2021, 1895)

Der Deutsche Bundestag hat am 21. 5. 2021 das als besonders eilbedürftig deklarierte Gesetz zur Förderung der Betriebsratswahlen und der Betriebsratsarbeit in einer digitalen Arbeitswelt (Betriebsrätemodernisierungsgesetz) beschlossen, das der Bundesrat eine Woche später gebilligt hat. Das Gesetz ist am 18. 6. 2021 in Kraft getreten. Der Gesetzgeber zeigt sich mit seinem arbeitsrechtlichen Legislativprojekt bemüht, den Rufen nach einer Modernisierung und Vereinfachung der Betriebsratstätigkeit noch in der laufenden Legislaturperiode nachzukommen. Der nachfolgende Beitrag stellt die wesentlichen Änderungen des Betriebsrätemodernisierungsgesetzes in kritischer Reflexion vor.

I.  Einleitung
II.  Förderung und Vereinfachung von Betriebsratswahlen

1.  Erweiterung des vereinfachten Wahlverfahrens auf mittelgroße Betriebe
2.  Reduzierung der Zahl der erforderlichen Stützunterschriften für Wahlvorschläge
3.  Anpassung der Altersgrenzen für das Wahlrecht
4.  Einschränkung der Wahlanfechtung
5.  Erweiterung des besonderen Kündigungsschutzes
III.  Neues Mitbestimmungsrecht bei der Ausgestaltung mobiler Arbeit
IV.  Stärkung der Rechte des Betriebsrats beim Einsatz von KI
V.  Stärkung der Rechte des Betriebsrats bei der beruflichen Bildung
VI.  Einsatz moderner Kommunikationsmittel

1.  Betriebsratssitzungen als Video- und Telefonkonferenzen
2.  Keine Erstreckung auf das Einigungsstellenverfahren
VII.  Zulässigkeit der qualifizierten elektronischen Signatur
VIII.  Datenschutzrechtliche Regelungen

1.  Regelungskompetenz des nationalen Gesetzgebers
2.  Regelungsgehalt
IX.  Ausdehnung des Unfallversicherungsschutzes im Homeoffice
X.  Fazit


I.  Einleitung

Die Förderung der Betriebsratsarbeit in der digitalen Arbeitswelt gehört seit geraumer Zeit zu den politisch wichtigsten Themen im Arbeitsrecht. Verstärkt wurde die Debatte durch den Ausbruch der Corona-Pandemie, die im Zuge von Kontaktbeschränkungen die Implementierung virtueller Betriebsratsarbeit erforderte. Geschaffen wurde die bis zum 30.6.2021 befristete Sondervorschrift des § 129 BetrVG, die die Möglichkeit der Teilnahme an Sitzungen von Mitarbeitervertretungsorganen sowie u. a. die Durchführung des Einigungsstellenverfahrens mittels Video- und Telefonkonferenz für zulässig erklärt. Auch unabhängig von den Bedingungen der Corona-Krise verwundert die Diskussion um die Modernisierung des BetrVG nicht, ist doch eine Anpassung des BetrVG an die moderne Arbeitswelt angesichts des stetig zunehmenden digitalen Wandels im Arbeitsleben ) erforderlich. Der Gesetzgeber hat nunmehr reagiert und das Betriebsrätemodernisierungsgesetz geschaffen. Verworfen wurden damit die zum Teil noch weiterreichenden Änderungen des im Referentenentwurf des BMAS vom Dezember 2020 vorgestellten Betriebsrätestärkungsgesetzes. Die mit der Novelle verbundenen wesentlichen Änderungen des BetrVG, des KSchG und des SGB VII setzen sich insbesondere zum Ziel, (1) die Gründung und Wahl von Betriebsräten zu fördern und zu erleichtern sowie Behinderungen von Betriebsratswahlen zu reduzieren, (2) den Betriebsräten Rechte bei der Ausgestaltung mobiler Arbeit einzuräumen, (3) die Betriebsräte in den Einsatz von Künstlicher Intelligenz (KI) zu involvieren, (4) das Engagement der Betriebsräte im Hinblick auf die Qualifizierung zu stärken, (5) Rechtsklarheit im Hinblick auf die datenschutzrechtliche Verantwortlichkeit des Betriebsrats zu schaffen sowie (6) den gesetzlichen Unfallversicherungsschutz im Homeoffice zu verbessern.

II.  Förderung und Vereinfachung von Betriebsratswahlen
Mit den zahlreichen Neuregelungen hinsichtlich der bezweckten Förderung und Vereinfachung von Betriebsratswahlen soll dem Rückgang von Betriebsratsgremien begegnet werden. Hintergrund ist eine Studie aus dem Jahr 2019, nach der nur noch 9 % der betriebsratsfähigen Betriebe in Westdeutschland und 10 % der betriebsratsfähigen Betriebe in Ostdeutschland über einen Betriebsrat verfügen. In der Folge werden nur noch rund 41 % der Arbeitnehmer in Westdeutschland und 36 % in Ostdeutschland von Betriebsräten vertreten. Als Ursachen hierfür sieht der Gesetzgeber insbesondere die formalen Hürden des regulären Wahlverfahrens und Blockadehandlungen von Arbeitgebern.

1.  Erweiterung des vereinfachten Wahlverfahrens auf mittelgroße Betriebe
Nach dem bisherigen § 14a Abs. 1 Satz 1, Abs. 3 Satz 1 BetrVG war in Betrieben mit in der Regel 5 bis 50 wahlberechtigten Arbeitnehmern ein vereinfachtes (zweistufiges oder einstufiges) Wahlverfahren durchzuführen. In Betrieben mit in der Regel 51 bis 100 wahlberechtigen Arbeitnehmern konnten Wahlvorstand und Arbeitgeber die Anwendung des vereinfachten Wahlverfahrens fakultativ vereinbaren, § 14a Abs. 5 BetrVG. Durch die Neufassung des § 14a BetrVG wird das vereinfachte Wahlverfahren auf mittelgroße Betriebe erweitert. Nunmehr wird dieses in Betrieben mit in der Regel 5 bis 100 wahlberechtigten Arbeitnehmern obligatorisch (§ 14a Abs. 1 Satz 1, Abs. 3 Satz 1 BetrVG n. F.), die freiwillige Durchführung durch Vereinbarung wird dagegen in Betrieben mit in der Regel 101 bis 200 wahlberechtigten Arbeitnehmern ermöglicht (§ 14a Abs. 5 BetrVG n. F.).

2.  Reduzierung der Zahl der erforderlichen Stützunterschriften für Wahlvorschläge
Zugleich wird die Zahl der erforderlichen Stützunterschriften für Wahlvorschläge reduziert. Diesbezüglich verzichtet der neue § 14 Abs. 4 BetrVG in kleinen Betrieben mit bis zu 20 wahlberechtigten Arbeitnehmern gänzlich auf das Erfordernis von Stützunterschriften. In Betrieben mit in der Regel 21 bis 100 wahlberechtigten Arbeitnehmern genügt die Unterzeichnung von Wahlvorschlägen von mindestens zwei wahlberechtigten Arbeitnehmern. Damit werden die Schwellenwerte für die Stützunterschriften im Vergleich zu der vorherigen Regelung, wonach jeder Wahlvorschlag von mindestens einem Zwanzigstel der wahlberechtigten Arbeitnehmer, mindestens jedoch von drei Wahlberechtigten unterzeichnet werden musste, deutlich abgesenkt.

3.  Anpassung der Altersgrenzen für das Wahlrecht
Abgeschafft wurde die für Auszubildende geltende obere Altersgrenze des § 60 Abs. 1 BetrVG, so dass nunmehr auch Auszubildende, die das 25. Lebensjahr vollendet haben, zur Jugend- und Auszubildendenvertretung aktiv und passiv wahlberechtigt sind. Die Änderung und damit das Abstellen einzig auf den Auszubildendenstatus ist folgerichtig, da ...
 



Verlag Dr. Otto Schmidt vom 22.09.2021 11:19
Quelle: Verlag Dr. Otto Schmidt

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