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GameStop, Reddit und die Hedgefonds - Betrachtungen aus der Perspektive des europäischen Kapitalmarktrechts (Veil/Templer, ZIP 2021, 981)

Der Fall GameStop zeigt, dass auf sozialen Medien vernetzte Privatanleger in der Lage sind, durch abgestimmte Wertpapierkäufe künstliche Preisniveaus zu erzeugen und dadurch Short Seller in Bedrängnis zu bringen. Dieser Artikel untersucht, ob sich das Szenarium auch in Europa ereignen kann. Verhindert die Kapitalmarktregulierung in der EU, dass Short Seller den Aktienbestand überschreitende Leerverkaufspositionen aufbauen? Wie effektiv sind die europäischen Marktmanipulationsverbote? Begegnet die Finanzmarktregulierung den Gefahren eines Short Squeeze für Hedgefonds?

I.  Einleitung
1.  Unternehmen und Kursentwicklung
2.  Beteiligte: Shortseller, Privatanleger und Online-Broker
3.  Juristische Aufarbeitung in den USA
II.  Leerverkaufspositionen und Gefahr eines Short Squeeze
1.  US-amerikanische Leerverkaufsregulierung
1.1  Erschwerung ungedeckter Leerverkäufe
1.2  Transparenzpflichten
1.3  GameStop-Szenario: Doppelverwendung von Aktien
2.  Europäische Leerverkaufsregulierung
2.1  Verbot ungedeckter Leerverkäufe
2.2  Transparenzpflichten
2.3.  GameStop-Szenarien im Lichte der SSR
2.3.1  Gefahr hoher Leerverkaufspositionen
2.3.2  Verhinderung eines Short Squeeze durch die SSR
3.  Ergebnisse
III.  Marktmissbrauch
1.  Marktmanipulation durch Cornering
1.1  Sicherung einer marktbeherrschenden Stellung
1.2  Handeln in Absprache
2.  Cornering als handelsgestützte Markmanipulation
3.  Sonstige Tatbestände der MAR
4.  Ergebnisse
IV.  Spekulationsrisiken der Hedgefonds
1.  Aufsichtsrechtliche Regulierung
2.  Reformansätze
V.  Schluss


I.  Einleitung

1.  Unternehmen und Kursentwicklung

GameStop ist ein US-amerikanischer Händler von Videospielen, der weltweit mehr als 5.000 Filialen betreibt, 200 davon in Deutschland. Die Aktie ist an der New York Stock Exchange gelistet. Im Jahr 2020 notierte sie zwischen einem Tiefstwert von 2,80 $ am 3. April und einem Höchstwert von 20,99 $ am 28. Dezember. Ab dem 13.1.2021 war ein drastischer Kursanstieg zu beobachten, der am 28.1.2021 einen untertägigen Höchststand von 483 $ erreichte. Zu diesem Zeitpunkt betrug die Marktkapitalisierung 33,7 Milliarden $. Zudem war die GameStop-Aktie zwischenzeitlich der meistgehandelte Titel weltweit. Ihr Handelsvolumen überstieg kurzzeitig sogar das von Tesla und Apple, deren Marktkapitalisierung bei ca. 840 Milliarden $ beziehungsweise 2,4 Billionen $ liegt.

Nachdem der Kurs bis zum 4.2.2021wieder auf ca. 50 $ gefallen war und sich daraufhin zwischen 40 und 50 $ eingependelt zu haben schien, stieg er seit dem 24.2.2021 wieder an und liegt momentan (Stand: 12.3.2021) erneut bei 260 $. Ähnliche, wenngleich nicht ganz so dramatische Entwicklungen waren auch bei anderen Aktien mit hohen short-Positionen zu beobachten, darunter bekannte Unternehmen wie BlackBerry, Nokia und AMC, der weltweit größte Kinobetreiber.

2.  Beteiligte: Shortseller, Privatanleger und Online-Broker
Während einige Anleger in GameStop das Potenzial, sich dem Online-Handel zuzuwenden, und zudem aufgrund des hohen Barmittelbestandes des Unternehmens die Chance eines Aktienrückkaufs sahen, bestand im Markt auch großes Misstrauen an einem erfolgreichen Strategiewechsel, was sich in einem Aufbau hoher short-Positionen durch Hedgefonds äußerte.

Auf der Seite der Befürworter stand, wohl nicht zuletzt aufgrund einer gewissen emotionalen Verbundenheit mit dem Unternehmen GameStop, ein Kreis mehrheitlich junger Männer, die sich auf der anonymen Diskussionsplattform Reddit in der Diskussionsgruppe (subreddit) mit dem Titel wallstreetbets austauschten. Der weitere Verlauf wird so dargestellt, dass das Wissen dieser Privatanleger um die hohen short-Positionen der Hedgefonds dazu führte, dass ihre positive Grundstimmung gegenüber GameStop von etwas Größerem überlagert wurde: dem Ansinnen, den als Mitschuldige an der Finanzkrise und damit auch der wachsenden Ungleichheit in den USA ausgemachten Hedgefonds "eine Abreibung zu verpassen". Dem Unternehmensslogan "power to the players" alle Ehre machend, sollen sie sich gegenseitig dazu motiviert haben, GameStop-Aktien zu kaufen und so einen Short Squeeze herbeizuführen. Unabhängig davon, ob diese vielfach als "David gegen Goliath" bezeichnete Geschichte zutreffend ist, oder, wie teilweise als Vermutung geäußert, zumindest ab einem bestimmten Zeitpunkt auch Unternehmen aus der Finanzindustrie beträchtliche long-Positionen aufbauten, trat der beabsichtigte Erfolg ein.

Schwierigkeiten bereitete der drastische Kursanstieg nicht nur den Hedgefonds, die ihre Positionen teils unter Verlusten schließen mussten, sondern infolge der hohen Handelsvolumina auch den Online-Brokern. Robinhood musste eine Kapitalerhöhung durchführen, wohl um von Clearing-Häusern für die Transaktionen geforderte Sicherheiten hinterlegen zu können. Dabei setzte das Unternehmen – wie auch andere Online-Broker – die Kaufmöglichkeit von GameStop und weiteren Aktien, für die ein Short Squeeze drohte und die demnach stark nachgefragt waren, vorübergehend aus. Als mögliche Gründe hierfür stehen neben der Vermeidung von Liquiditätsproblemen der von dem CEO von Robinhood, Vladimir Tenev, ins Feld geführte Schutz der Anleger vor sehr riskanten Investitionen wie auch der insbesondere von den Reddit-Nutzern erhobene, von Robinhood jedoch zurückgewiesene Vorwurf eines bewussten Einwirkens auf die Kurse zum Nutzen der betroffenen Hedgefonds im Raum.

3.  Juristische Aufarbeitung in den USA
Die juristische Aufarbeitung der Geschehnisse steht noch ganz am Anfang. Ihr Fokus ist derzeit auf die Aussetzung des Handels durch Online-Broker gerichtet. Diese sehen sich nicht nur mit mehreren Untersuchungen auf politischer und aufsichtlicher Ebene sowie durch die bundesstaatlichen Strafverfolgungsbehörden in New York und Texas, sondern auch ...
 



Verlag Dr. Otto Schmidt vom 12.05.2021 11:15
Quelle: Verlag Dr. Otto Schmidt

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