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BGH v. 19.1.2021 - XI ZB 35/18

Zur spezialgesetzlichen Prospekthaftung gem. den § 13 VerkProspG, §§ 44 ff. BörsG in der bis zum 31.5.2012 geltenden Fassung

Die spezialgesetzliche Prospekthaftung gem. den § 13 VerkProspG, §§ 44 ff. BörsG in der bis zum 31.5.2012 geltenden Fassung schließt in ihrem Anwendungsbereich eine Haftung der Gründungsgesellschafter als Prospektveranlasser unter dem Aspekt einer vorvertraglichen Pflichtverletzung aufgrund der Verwendung eines unrichtigen, unvollständigen oder irreführenden Prospekts als Mittel der schriftlichen Aufklärung gem. § 280 Abs. 1 BGB i.V.m. § 311 Abs. 2 BGB aus.

Der Sachverhalt:
Die Parteien streiten im Rahmen eines Verfahrens nach dem Kapitalanleger-Musterverfahrensgesetz in der Rechtsbeschwerdeinstanz noch über die Unrichtigkeit des Verkaufsprospekts der M. P. KG (Fondsgesellschaft) und eine daraus resultierende Haftung der Musterbeklagten. Die Musterbeklagte zu 1) (damals noch H. H. S. GmbH) und die Musterbeklagte zu 2) (damals noch H. H. KG) sind (Rechtsnachfolger der) Gründungsgesellschafter der Fondsgesellschaft. Die Musterbeklagte zu 1) fungierte zugleich als Treuhänderin für mittelbar an der Fondsgesellschaft beteiligte Anleger. Gegenstand des Unternehmens der Fondsgesellschaft war der Betrieb des Seeschiffs M. H. P., das die Fondsgesellschaft von der M. H. P. KG gem. Kaufvertrag vom 25.5.2007 erworben hatte.

Komplementärin dieser Gesellschaft war die M. H. T. GmbH. Deren Geschäftsführer waren zugleich Geschäftsführer der M. P. GmbH als Komplementärin der Fondsgesellschaft. Treuhänderisch vermittelte Anteile an der Fondsgesellschaft wurden auf der Grundlage eines am 5.7.2007 aufgestellten Verkaufsprospekts vertrieben, für dessen Inhalt die H. H. C. mbH die Prospektverantwortung übernahm. Die Geschäfte der Fondsgesellschaft entwickelten sich ungünstig. Im Jahr 2014 wurde über ihr Vermögen das Insolvenzverfahren eröffnet. Seit dem Jahr 2014 haben zahlreiche Anleger Klagen gegen die Musterbeklagten anhängig gemacht. Das LG legte daraufhin mit Beschluss vom 11.6.2015 dem OLG Feststellungsziele zum Zwecke des Musterentscheids vor. Das OLG erweiterte auf Antrag des Musterklägers das Musterverfahren durch Beschlüsse vom 13.10.2017 und 9.11.2017.

Mit Musterentscheid vom 17.1.2018 stellte das OLG nach Beweisaufnahme fest, dass zwischen den Treugebern der Fondsgesellschaft und den Musterbeklagten ein vorvertragliches Schuldverhältnis zustande gekommen sei (Feststellungsziel 2), dass eine Verletzung von Pflichten aus diesem vorvertraglichen Schuldverhältnis den § 311 Abs. 2 Nr. 1 bis 3 BGB "und/oder § 280 Abs. 1 Satz 1 BGB" unterfalle (Feststellungsziel 3), dass Ansprüche wegen einer Pflichtverletzung im Rahmen dieses Schuldverhältnisses "in Anspruchskonkurrenz zu einer etwa gegebenen spezialgesetzlichen Prospekthaftung" stünden (Feststellungsziel 4), dass für etwaige Pflichtverletzungen aus diesem Schuldverhältnis die Regelverjährung gelte "und diese nicht durch eine spezialgesetzlich geregelte Verjährung einer etwa gegebenen Prospekthaftung im engeren Sinne verdrängt" werde (Feststellungsziel 5), dass § 280 Abs. 1 Satz 2 BGB auch für Pflichtverletzungen im Rahmen dieses Schuldverhältnisses gelte (Feststellungsziel 7) und dass die Vermutung aufklärungsrichtigen Verhaltens auch auf Pflichtverletzungen im Rahmen dieses Schuldverhältnisses anwendbar sei (Feststellungsziel 8). Im Übrigen wies es die Anträge zurück.

Dagegen legt der Musterkläger Rechtsbeschwerde ein, dem im Rechtsbeschwerdeverfahren 24 Beigeladene beigetreten sind. Der Musterkläger und die Beigetretenen begehren die Abänderung des Musterentscheids insoweit, als das OLG die Feststellungsziele betreffend die Fehlerhaftigkeit der Prospektangaben gem. den Feststellungszielen 1 (2) und 11 nicht getroffen hat. Außerdem greifen sie die Zurückweisung der Anträge zu den Feststellungszielen 6 (Bestehen einer Pflichtverletzung aufgrund der Verwendung des Prospekts), 9 (unterlassene Richtigstellung fehlerhafter Prospektangaben) und 10 (Verpflichtung zur Erteilung weiterer Informationen "vor und/oder nach Vertragsschluss") an.

Der Prozessbevollmächtigte der Musterbeklagten zu 2) hat innerhalb der Beitritts- und Beitrittsbegründungsfrist die Vertretung der Musterbeklagten zu 2) angezeigt und beantragt, die Rechtsbeschwerde des Musterklägers zurückzuweisen. Eine Beitrittsbegründungsschrift hat er innerhalb der Beitrittsbegründungsfrist nicht eingereicht. Mit Beschluss vom 4.11.2019 ist die Musterbeklagte zu 1) zur Musterrechtsbeschwerdegegnerin bestimmt worden. Die Musterbeklagte zu 2), der dieser Beschluss am 22.11.2019 zugestellt worden ist, hat daraufhin mit Schriftsatz vom 26.11.2019 erklärt, "ihre Vertretungsanzeige" sei "als Beitrittserklärung zu verstehen", sie erkläre vorsorglich erneut den Beitritt und verweise zur Begründung ihres rechtlichen Interesses an diesem Beitritt auf die Rechtsbeschwerdeerwiderung vom 25.6.2018.

Die zulässige Rechtsbeschwerde des Musterklägers hatte vor dem BGH nur zu einem geringen Teil Erfolg.

Die Gründe:
Soweit die Entscheidung des OLG Gegenstand des Rechtsbeschwerdeverfahrens ist (Feststellungsziele 1 [2], 6 und 9 bis 11), führt sie nur zu einem geringen Teilerfolg.

Die Annahme des OLG, der Antrag zum Feststellungsziel 6 sei als unbegründet zurückzuweisen, ist im Ergebnis zutreffend. Die mit dem Antrag begehrte Feststellung ist nicht zu treffen, weil eine Haftung der Musterbeklagten als (Rechtsnachfolger der) Gründungsgesellschafter aus § 311 Abs. 2, § 241 Abs. 2, § 280 Abs. 1 BGB nicht auf die Verwendung eines Prospekts als solche gestützt werden kann. Ein Anspruch auf dieser Grundlage wird vielmehr durch die Regelungen der spezialgesetzlichen Prospekthaftung verdrängt. Auf den am 5.7.2007 veröffentlichten Prospekt findet die Regelung des § 8g VerkProspG in der vom 1.7.2005 bis zum 31.5.2012 geltenden Fassung (künftig: a.F.) i.V.m. § 32 Abs. 2 Satz 1 VermAnlG Anwendung. Damit ist auch der Anwendungsbereich der § 13 VerkProspG, §§ 44 ff. BörsG in der bis zum 31.5.2012 geltenden Fassung (künftig: a.F.) eröffnet. Nach § 13 VerkProspG, §§ 44 ff. BörsG a.F. haften neben denjenigen, die für den Prospekt i.S.d. § 8g VerkProspG aF die Verantwortung übernommen haben, im Falle von dort enthaltenen unrichtigen oder unvollständigen wesentlichen Angaben auch diejenigen, von denen der Erlass des Prospekts ausgeht, § 44 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 BörsG a.F. Damit sollen die Personen und Unternehmen getroffen werden, von denen die wirtschaftliche Initiative ausgeht und die hinter dem Prospekt stehen und seine eigentlichen Urheber sind.

Veranlasser ist, wer hinter dem Emittenten steht und neben der Geschäftsleitung besonderen Einfluss ausübt. Durch die Regelung soll eine Lücke bei den Haftungsverpflichteten geschlossen werden; insbesondere sollen auch Konzernmuttergesellschaften in die Haftung einbezogen werden. Nach § 44 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 BörsG a.F. ist von einer Prospektverantwortlichkeit eines Hintermannes u.a. dann auszugehen, wenn dieser auf die Konzeption des konkreten, mit dem Prospekt beworbenen und vertriebenen Modells maßgeblich Einfluss genommen hat und damit letztendlich auch für die Herausgabe des Prospektes verantwortlich ist. Dabei können die gesellschaftsrechtliche Funktion des Hintermannes sowie ein erhebliches wirtschaftliches Eigeninteresse für eine Einflussnahme auf die Konzeption des Modells sprechen. Nicht entscheidend ist, ob eine Mitwirkung unmittelbar bei der Gestaltung des Prospektes gegeben ist; ausschlaggebend dagegen ist, ob der Prospekt mit Kenntnis des Verantwortlichen in den Verkehr gebracht worden ist.

Nach diesen Grundsätzen sind die Musterbeklagten Prospektverantwortliche i.S.v. § 44 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 BörsG aF. Sie sind Gründungsgesellschafter der Fondsgesellschaft. Beide Musterbeklagte waren bei Aufstellung des Prospekts zu jeweils 50 % Gesellschafter der Komplementärin der Fondsgesellschaft. Die Musterbeklagte zu 1) war außerdem die Schwestergesellschaft der Prospektverantwortlichen nach § 44 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BörsG a.F. und fungierte als Treuhandkommanditistin. Die Musterbeklagte zu 2) übernahm von den ursprünglich auf 275.000 € bezifferten Pflichteinlagen eine Pflichteinlage von 200.000 €. Beide Musterbeklagten hafteten mithin als Veranlasser für unrichtige oder unvollständige wesentliche Angaben nach den Grundsätzen der spezialgesetzlichen Prospekthaftung.

Neben der spezialgesetzlichen Prospekthaftung aus § 13 VerkProspG, §§ 44 ff. BörsG a.F. ist eine Haftung der Musterbeklagten unter dem Aspekt einer vorvertraglichen Pflichtverletzung aufgrund der Verwendung des unrichtigen, unvollständigen oder irreführenden Prospekts als Mittel der schriftlichen Aufklärung ausgeschlossen. Die Veranlasserhaftung nach § 13 VerkProspG, § 44 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 BörsG a.F. erfasst den Gründungsgesellschafter als Veranlasser und als künftigen Vertragspartner des Gesellschaftsvertrags der Anlagegesellschaft. Die Haftung nach § 13 VerkProspG, §§ 44 ff. BörsG a.F. verwirklicht in der Person des Gründungsgesellschafters stets auch die Voraussetzungen des Verschuldens bei Vertragsschluss mittels Verwendens eines fehlerhaften Verkaufsprospekts (§ 280 Abs. 1 BGB i.V.m. § 311 Abs. 2 BGB). Wollte man diese allgemeinen Haftungsgrundsätze neben § 13 VerkProspG, §§ 44 ff. BörsG a.F. ohne jede Einschränkung zur Anwendung bringen, liefe die gesetzgeberische Entscheidung, dem Gründungsgesellschafter als Veranlasser i.S.d. § 44 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 BörsG a.F. die Möglichkeit zu eröffnen, sich mit dem Nachweis einfach fahrlässiger Unkenntnis der Unrichtigkeit oder Unvollständigkeit des Verkaufsprospekts zu entlasten (§ 45 Abs. 1 BörsG a.F.), und eine Sonderverjährungsfrist (§ 46 BörsG a.F.) anzuordnen, vollständig leer. Eine Haftung des Gründungsgesellschafters nach § 280 Abs. 1 BGB i.V.m. § 311 Abs. 2 BGB kommt daher nur bei Sachverhaltskonstellationen in Betracht, die von der Regelung der § 13 VerkProspG, §§ 44 ff. BörsG a.F. nicht erfasst sind.



Verlag Dr. Otto Schmidt vom 07.04.2021 15:32
Quelle: BGH online

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