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Aus der ZIP

In concert or not in concert? - Eine methodische Konkretisierung von § 30 Abs. 2 Satz 1 WpÜG (Hamann, ZIP 2007, 1088)

Was für Wettbewerbsrechtler der Monopolist, ist für Aktienrechtler der Hauptaktionär. Doch gibt es noch eine andere Art der wirksamen Neutralisierung von Konkurrenten. Im Wettbewerbsrecht heißt sie Kartell. Und im Aktienrecht? Was passiert, wenn sich Minderheitsaktionäre zusammenschließen, um „ihr“ Unternehmen zu kontrollieren? Die Fälle Pixelpark, Beiersdorf und – medienwirksam – Deutsche Börse/TCI haben eine brisante Frage aufgeworfen. Die hat der Gesetzgeber zwar gesehen und in § 30 Abs. 2 Satz 1 WpÜG geregelt, doch blieben viele Aspekte dieser Norm lange unklar. Mit der Entscheidung des BGH in Sachen WMF kam es Ende letzten Jahres zu einer ersten höchstgerichtlichen Entscheidung, die das Interesse der Rechtswissenschaft wiederbelebte. Erneut stellt sich die Frage: Wie entsteht ein „Aktionärskartell“ i. S. d. § 30 Abs. 2 Satz 1 Halbs. 1 WpÜG? Eine rechtsmethodische Analyse soll helfen, diese Frage zu beantworten.

I.  Überblick
1.  Begriffsbestimmungen
2.  Bedeutung, Normkontext
3.  Folgen, Normzweck
II.  Abstimmungs-Beteiligte: „Dem Bieter werden auch Stimmrechte eines Dritten…“
III.  Abstimmungs-Gegenstand: „…Verhalten in Bezug auf die Zielgesellschaft…“

1.  Abstimmungen beim Anteilserwerb
2.  Abstimmungen außerhalb der Hauptversammlung
3.  Abstimmungen bei der Ausübung von Stimmrechten
IV.  Abstimmungs-Modus: „…aufgrund einer Vereinbarung oder in sonstiger Weise…“
V.  Abstimmungs-Begriff: „…abstimmt;“

1.  Grammatikalische Auslegung: Philologische Betrachtung, auch des Begriffs acting in concert
2.  Historische Auslegung: Das acting in concert im internationalen Rechtsverkehr
3.  Systematische Auslegung: Abgestimmtes Verhalten in anderen Rechtsgebieten
4.  Teleologische Auslegung: Sinn und Zweck der Zurechnung, Einzelfallausnahme § 30 Abs. 2 Satz 1 Halbs. 2
5.  Richtlinienkonforme Auslegung
VI.  Zusammenfassung


I.  Überblick

1.  Begriffsbestimmungen

§ 30 Abs. 2 Satz 1 WpÜG  begründet eine gesellschafts- und kapitalmarktrechtliche Zurechnungsfiktion. Aufgrund seiner Tatbestandsähnlichkeit mit der Definition „gemeinsam handelnder Personen“ (§ 2 Abs. 5) werden dazu häufig Parallelen gezogen, die aber fehlgehen.  Keiner der beiden Tatbestände bezieht sich auf den anderen, § 2 Abs. 5 braucht daher nicht näher betrachtet werden.  Nach § 30 Abs. 2 Satz 1 sollen einem Bieter (§ 2 Abs. 4) alle Stimmrechte Dritter zugerechnet werden, mit denen er oder eines seiner Tochterunternehmen (§ 2 Abs. 6) sein „Verhalten in Bezug auf die Zielgesellschaft [§ 2 Abs. 3]“ abstimmt. Anders als § 30 Abs. 1 rechnet Abs. 2 dem Bieter also ihm nicht gehörige Stimmrechte sogar dann zu, wenn er sie nicht kraft Rechtsstellung kontrolliert.

Der Topos abgestimmten Verhaltens wird im angloamerikanischen Recht als „acting in concert“ bezeichnet. Hierauf berief sich der WpÜG-Gesetzgeber mit der Maßgabe, auch genau solche Fälle regeln zu wollen.  Welche Probleme diese „Klar“stellung aufwirft, ist noch darzulegen.

2.  Bedeutung, Normkontext
Bedeutung erlangt § 30 Abs. 2 Satz 1 vor allem im Rahmen des Kontrollerwerbs. Die Kontrolle (§ 29 Abs. 2) über eine Zielgesellschaft hat derjenige Aktionär, der 30 % der Stimmrechte hält – ein Wert, der aufgrund der geringen Hauptversammlungspräsenz erfahrungsgemäß fast immer die tatsächliche Beherrschung der Hauptversammlung einer Aktiengesellschaft ermöglicht. 

§ 30 Abs. 2 Satz 1 erweitert durch die Konstruktion eines Kontrollerwerbs durch abgestimmtes Verhalten den Kontrollbegriff des § 29 Abs. 2. Die Kontrolle wiederum begründet weit reichende Verpflichtungen für den Kontrollerwerber. Er muss gem. § 35 Abs. 1 die Höhe seines Stimmrechtsanteils unverzüglich der BaFin anzeigen und ihr gem. § 35 Abs. 2 binnen Monatsfrist eine Angebotsunterlage übermitteln – verbunden mit einem öffentlichen Übernahmeangebot an alle außenstehenden Aktionäre der Zielgesellschaft. Bei Verletzung dieser Pflichten drohen gravierende Sanktionen. 

3.  Folgen, Normzweck
Durch § 30 Abs. 2 Satz 1, § 35 Abs. 1 wird der Bieter durch einen Kontrollerwerb in die Pflicht genommen, der in dem von § 29 Abs. 2 normierten Wortsinn überhaupt nicht stattgefunden hat. Stattdessen gilt ein materiellrechtlicher Kontrollbegriff. Dahinter steht die Überlegung, dass ein kollusives Zusammenwirken auch ohne rechtliche Verbindlichkeit Beherrschungsqualität haben kann. § 30 Abs. 2 Satz 1 trägt also dem Umstand Rechnung, dass durch Vereinbarungen, die nicht einmal formal bindend sein müssen (sog. gentlemen’s agreements),  ein direkter Kontrollerwerb vom Bieter umgangen und ohne Pflichtangebot die Beherrschung der Gesellschaft erreicht werden könnte.

Gesetzgeberische Intention hierbei war primär der Schutz der anderen Anleger, denen nach einem Kontrollwechsel ermöglicht werden sollte, sich rechtzeitig ...
 



Verlag Dr. Otto Schmidt vom 11.03.2021 15:28
Quelle: Verlag Dr. Otto Schmidt

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